Dienstag, 15. Januar 2013

Absetzung und Dissidenz aus dem Exil - Ein Glaubwürdigkeitsproblem?


Absetzung und Dissidenz aus dem Exil - Ein Glaubwürdigkeitsproblem?



Kaum gesehen und vielfach verkannt bisher wurde die zweite Seite der Medaille: die innere Auflehnung des Wissenschaftlers während der Jahre der Heuchelei in der Ceauşescu-Diktatur und die Konsequenz daraus: die bewusste Distanzierung durch konkretes Dagegenhandeln.

Vladimir Tismăneanu, zweifellos im Milieu von orthodoxen Kommunisten groß geworden und bis zu einem gewissen Grad von diesem Milieu fremdbestimmt, sah irgendwann den Irrtum seines Umfelds ein, besann sich auf die eigene Freiheit und schlug sich - spät vielleicht, doch noch nicht zu spät, in das Lager der Antikommunisten, nachdem er einige Jahre unzufrieden und frustriert im System mehr überlebt als gelebt hatte. Die geistigen Früchte dieser Zeit sind philosophisch-spekulative Schwärmereien und Essays in konventionellen Parteizeitschriften, zu denen Intellektuelle, wenn sie überhaupt als Geister überleben wollten, fast gezwungen wurden. Bei fast allen Literaturschaffenden aus jener Zeit finden sich solche Konzessionen - mit dem fast obligatorischen Ceauşescu- oder Parteizitat, nicht nur bei den Lobhudlern. Doch Tismăneanu kann von sich entschieden behaupten, niemals mit der Securitate oder der Kommunistischen Partei zusammen gearbeitet zu haben.

Um 1981, als ich gerade dabei war, in Genf die Klage gegen das Ceauşescu-Regime auf den Weg zu bringen, floh Tismăneanu im Alter von dreißig Jahren, also fast zehn Jahre älter als ich es bei meiner Ausreise war, in den Westen. Zunächst zog es ihn zu Freunden nach Spanien, dann zu Verwandten nach Venezuela und schließlich in die Vereinigten Staaten von Amerika.

Die hanebüchene Geschichte jenes obskuren Autors aus Ziua, der spekulierte, Tismăneanu hätte nur mit Hilfe nordamerikanischer Kommunisten, die für ihn bei der CIA intervenierten, in den USA Fuß fassen können, zeugt von der Realitätsfremdheit und der absoluten Unkenntnis der Verhältnisse in den USA. Sie ist genauso aberwitzig wie die Behauptung, der Dissident Tismăneanu, der über Jahre den Kommunismus bekämpfte, sei von Rechten bedroht worden. Der Flüchtling wäre wohl niemals in den Vereinigten Staaten aufgenommen worden, wenn seine persönliche Integrität nicht nachweisbar festgestanden hätte. Nicht die Kommunisten Nordamerikas, denen er gehuldigt haben soll - sic! -, halfen Tismăneanu bei der Integration, sondern Leute wie Norman Podhoretz, der einflussreiche Neokonservative von Commentary, einer Zeitschrift für politische Analytik, die, wie mir seinerzeit ein amerikanischer Studienkollege und Mitarbeiter versicherte, auch von Präsident Ronald Reagan gelesen wurde.

In den Vereinigten Staaten versuchte Tismăneanu dann von Anfang an und konsequent bis in diese Tage während eines Vierteljahrhunderts die Jugendsünden seines Umfelds- inklusiv der eigenen - bekannt zu machen, aufzuklären und aufzuarbeiten - als Sühne und wissenschaftlich-ethische Wiedergutmachung vielleicht für eine spät vollzogene Dissidenz, die im eigentlichen Sinne des Wortes tatsächlich eine wahre Dissidenz ist, während ich und andere Andersdenkende keine Parteidissidenten, keine Abweichler von der reinen Lehre waren, sondern deklarierte Regimegegner und brave Antikommunisten von Anfang an.

Was Vladimir Tismăneanu von Amerika aus als vielfach anerkannter und ausgezeichneter Professor der Politikwissenschaft leistete, kann als eine moralische Reinwaschung verstanden werden, die er nicht nur für sich selbst betrieb, sondern für die zahlreichen kompromittierten Intellektuellen im Land, die seit ehedem den Typus des Anständigen Rumänen zu verkörpern suchten. Allein schon die Tatsache, dass Tismăneanu in Amerika wirken und von amerikanischem Boden aus seine politische Aufklärungsarbeit betreiben darf, verweist auf die hohe Akzeptanz und Anerkennung seitens der Amerikaner, die ihm und seiner Mission zuteil wird. In zahlreichen großen Zeitungen und Zeitschriften der Welt können seine Analysen des Kommunismus nachgelesen werden.

Tismăneanu hat als langjähriger Mitarbeiter des Senders Radio Freies Europa noch während der Zeit der Ceauşescu-Diktatur eindeutig Position bezogen und bis hin zur Ausarbeitung der Dokumentation und Analyse der Verbrechen während der kommunistischen Herrschaft in Rumänien bewiesen, dass er als Mensch integer und politisch über alle Zweifel erhaben ist. Dafür ist er als Kain von der Securitate bis zur Revolution beobachtet und verfolgt worden.

Beginnend mit dem Druck, den die Geheimdienstler auf die ihm Land verbliebene Mutter ausübten, bis hin zu anonymen Anschwärzungen am wissenschaftlichen Institut der Universität Maryland, wo ihm, zur Verblüffung amerikanischer Kollegen, die kommunistische Vergangenheit des Vaters zum Vorwurf gemacht wurde, blieb Tismăneanu kaum etwas an Psychoterror seitens der Securitate erspart. All dies wurde von seinen weltanschaulichen Kritikern nicht gesehen, übersehen oder vergessen. Selbst ehemalige Oppositionelle und Andersdenkende verkannten diesen Aspekt und beteiligten sich damit, oft ungewollt, an der Hetzjagd und Demontage von Tismăneanu und an den Mitgliedern der Präsidentenkommission.

Einige unversöhnliche Regimekritiker sehen die Dinge viel skeptischer und teilen meine Auffassung der Dinge kaum. Aus ihrer Sicht wäre eine formal unbelastete Besetzung sinnvoller gewesen. Eine gewisse Bitterkeit der Weggedrängten und Ignorierten ist dabei nicht zu verkennen. Sogar Präsident Băsescu, der, als gewandter Politiker selbst nicht ganz frei von Demagogie und deshalb im Land auch nicht unumstritten ist, attestieren äußere Kritiker Kurzsichtigkeit und Provinzialismus. Während die Polen die Größe aufbrachten, einen schlichten Arbeiter ohne besondere Qualifikationen zum Staatspräsidenten zu wählen, schoben die Rumänen, sprich die Postkommunisten unter dem Altstalinisten Ion Iliescu, der sieben Jahre lang das Heft des Handels nicht mehr aus der Hand geben sollte, die wenigen Bürgerrechtler im Land ins Abseits und vertrösteten sie teilweise mit Alibi-Pöstchen. Băsescu hat daran nichts geändert!

Kein Wunder, dass der Aufschrei selbst aus jener Gruppe heftig war und immer noch anhält.. Dabei merken die früheren Andersdenkenden oft nicht, dass sie mit ihrem einseitigen Handeln nur den Interessen der alten Kräfte dienen, den Securitate-Nachfolgern, die heute mächtige Oligarchen und Wirtschaftsbosse sind; und dass sie mit ihren teils destruktiven Kommentaren gerade die demokratischen Kräfte in Land schwächen

Das diktatorisch-repressive und gleichzeitig ideologisch-dogmatische System des Kommunismus in Rumänien hat als großes Milieu viele Menschen im Land geformt und verformt. Im Fall Tismăneanus war das Milieu seiner Kindheit und Jugend übermächtig und manipulierte ihn solange, bis er selbst die Kraft fand, sich der Determinierung entgegenzusetzen und sich ihrem Einfluss durch Flucht zu entziehen. Deshalb neige ich nicht nur zu einer milden Apologie des Verführten, sondern bekenne mich auch offen entscheiden dazu, wie ich auch für Caraion und andere Missbrauch-und Systemopfer, die sich irgendwann aus eigener Kraft befreiten, volles Verständnis habe, obwohl ich sonst gerne den reinen Weg gegangen war und das konsequente Verhalten von Anfang bis zum Ende eingefordert hatte. Einsicht und Gnade auch hier, wenn die Reue offensichtlich und die Katharsis erfolgt ist. Manchmal bedarf es auch einer Entschuldigung, wenn man Fehler gemacht hat – unschuldig schuldig. Die Verstrickung in die Schuld muss nicht unbedingt mit dem selbst verursachten Schuldigwerden einsetzen.

Das Selbstsein über die Vergangenheitskorrektur Tismăneanus fand erst im Westen statt, aus einer tieferen Einsicht heraus, die auf Freiheit zurückzuführen ist. Tismăneanu war auch nicht der einzige Kommunist, der eine bewusste Umkehr und Wandlung vollzogen hat. Dan Deşliu, ein Lyriker, der mit Erfolg und Anklang die Kommunistische Partei besang, hatte es ihm vorgemacht, indem er einen radikalen Bruch mit seiner Vergangenheitvollzog. Nach seiner Distanzierung von der kommunistischen Weltanschauung an der Partei verstarb Deşliu unter rätselhaften Umständen.

Ein Gerücht besagt ferner, Ion Iliescu, der Altkommunist und langjährige Präsident Rumäniens in der Nachfolge Ceauşescus, heute noch der wohl mächtigste und einflussreichste Mann im Parlament, habe Băsescu empfohlen, Vladimir Tismăneanu zum Vorsitzenden der Aufarbeitungskommission zu berufen. Das ist wenig plausibel. Denn Tismăneanu, der die exponierte Herausforderung annahm und ohne Rücksicht auf persönliche Bindungen die Schuldigen beim Namen nannte - neben Leuten wie Dej, Tudor, Păunescu - auch den eigenen Vater und Iliescu, nahm die Sache sehr ernst, wissenschaftlich ernst, weil ihm die historische Tragweite der Mission bewusst war.




Auszug aus: Carl Gibson,

Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur

Chronik und Testimonium einer Menschenrechtsbewegung

in autobiographischen Skizzen, Essays, Bekenntnissen und Reflexionen,

Dettelbach 2008, 418 Seiten -

Leseprobe


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