Deutsche Dichter im Fadenkreuz der Securitate. Dissidenz oder Mythos – ethnische oder ideologische Diskriminierung?
Als im Sommer 1979 einer meiner schwäbischen Mithäftlinge aus der Ortschaft Marienfeld seine Haftzeit verbüßt hatte und wieder nach Hause durfte, bat ich ihn, meine Eltern in Sackelhausen aufzusuchen. Das auf dem Dachboden versteckte Romanfragment Die Flucht in die Heimat, ein Manuskript über das Los zwangsdeportierter Deutscher in Russland, machte mir Sorgen. Es müsste so schnell wie möglich verbrannt werden, dachte ich, da ich bei einer möglichen Auffindung der Schriften durch die Securitate massive Schwierigkeiten im Zusammenhang mit antisozialistischer Propaganda befürchtete; sprich: neue Untersuchungen, ein weiteres Urteil und ein paar Jahre mehr Haft!
Der Landsmann hielt sein Wort nicht - und schrieb nur eine Postkarte. Zufälligerweise blieb diese nicht in den Filtern der Securitate hängen. Sie wurde zugestellt - mit der Klartextbotschaft, das schon heiße Manuskript ins Feuer zu werfen. Das war eine törichte Angelegenheit, die mich Kopf und Kragen hätte kosten können. Doch ich hatte Glück. Mein eingeweihter Cousin Günther hatte das halbfertige Opus bereits unmittelbar nach meiner Verhaftung vernichtet.
Andere Dichter und Schriftsteller deutscher Zunge hingegen waren mit weniger Fortune gesegnet. In ihren Schubladen fand die Securitate umfassende Schriftstücke vor, intime Tagebücher, Entwürfe, Notizen, Ideen, unvollendete Manuskripte, verbotene Literatur und anderes an geistiger Konterbande, alles Materialien, aus welchen den Betroffenen schnell ein Strick gedreht werden konnte. William Totok, einer der am eindeutigsten Verfolgten, hat in seinen beiden Buchveröffentlichungen zahlreiche Quellen zusammengestellt.
Opfer von Hausdurchsuchungen und Verdächtigungen durch die Securitate sowie von anschließenden Verhören wurden - neben Kunstschaffenden, die heute kaum noch einer kennt wie den Poeten Botlung - selbst Personen aus dem akademischen Umfeld. Hauptsächlich aber standen die Dichter aus dem Freundeskreis der Aktionsgruppe im Fadenkreuz; unter ihnen mein Nachbar Gerhard Ortinau, William Totok, Rolf Bossert und später auch Horst Samson, der langjährige Sekretär des Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreisessowie Helmuth Frauendorfer. Jeder von ihnen galt als verdächtig, ungeachtet der Tatsache, dass sie alle mit Fug und Recht dem linkssozialistischen Spektrum zugeordnet werden konnten - der Aspekt, der deutschen Minderheit im Land anzugehören und ausschließlich in deutscher Sprache zu veröffentlichen, wog wohl schwerer.
Einerseits bemühte sich das offizielle Rumänien um eine vorbildliche Minderheitenpolitikund gönnte diesem kleinen Kreis Literaturschaffender eine an sich privilegierte Nischenexistenz mit Bevorzugungen, von denen angehende rumänische Künstler nur träumen konnten. Andererseits setzte das System ideologisch-nationalistisch ausgerichtet in einer nichtdeklarierten ethnischen Diskriminierung auf die vollständige Assimilation der Minderheitenund verdächtigte deshalb selbst Angehörige linksorientierter Gruppierungen, weil sie in ihrer Art, Kunst zu produzieren, vielleicht weniger konform auftraten, als erwünscht. Zumindest unterblieb bis zu meiner Ausreise im Jahr 1979 die öffentlich erwartete primitive Form der Lobhudelei á la Mihai Beniuc, Păunescu und Tudor. War doch schon der vorhandene Konformismus der meisten Intellektuellen im Land überdominant. Rumänische Schriftsteller, die sich mit dem Regime arrangiert hatten, und das waren fast alle, konnten dafür gut leben.
Nur wenige Idealisten im Land - unter ihnen eine Handvoll Deutsche aus dem Banat und aus Siebenbürgen - wollten die Dinge weiterhin anders sehen und ungeachtet der Zuckerbrot und Peitsche-Taktik der Partei weitermachen. Sie hatten allesamt noch ein weitgehend gutes Gewissen und arbeiteten geistig an einem eigenen Überlebensmodell; an dem aus meiner Sicht nicht ganz konsequenten Zwischending, im Land bleiben und vor Ort wirken zu wollen, während die meisten ihrer deutschen Landsleute nach den Erfahrungen vor allem in der Zeit des Stalinismus sowie nach dem erneuten Rückfall in diese schon überwunden geglaubte Zeit der Verdächtigungen, der Angst und des Terrors ihre tatsächliche Existenz retteten und aus dem gleichen Land flohen.
Ab 1981 ging es in Rumänien nicht mehr um persönliche Selbstverwirklichung, sondern nur noch um nacktes Überleben. Der normale Werktätige musste sechs bis sechseinhalb Tage in der Woche arbeiten und hatte trotzdem Mühe, an das tägliche Brot heranzukommen oder seine Wohnung zu beheizen. In solchen Zeiten schwand auch der Sinn für Literatur. Nur Herta Müller, die damals an der Zensur vorbei oder mit dem Plazet der Zensur irgendwie ihr nestbeschmutzerisches Skandalbändchen herausbringen konnte, sah die Gründe der Niederungen ihres Umfelds nicht in der versagenden sozialistischen Gesellschaft, sondern bei ihren engstirnigen Landsleuten. Also beleidigte sie diejenigen unter ihnen, die noch lasen. Also beleidigte sie auch mich.
Ab 1983 häuften sich trotzdem die Schikanen, Belästigungen und Übergriffe gegen die wenigen deutschen Dichter im Land, so als ob man sie in den sich schon abzeichnenden finalen Exodus der Deutschen aus dem Banat und aus Siebenbürgen einreihen wollte, um auch sie, die selbst deklarierte geistige Vorhut, die nicht gehen wollte, aus dem Land zu treiben!
Bis zu jenem Zeitpunkt genossen die wenigen Schriftsteller deutscher Zunge aus dem Banat und Siebenbürgen ihr weitgehend privilegiertes Dasein, was das Veröffentlichen ihrer Werke betraf. Da es nur wenige waren, die Literatur fabrizierten, konnten sie in der Regel all das veröffentlichen, was sie schrieben, wenn es nicht gerade offensichtlich politisch provozierte.
„Wenn ich ein Angehöriger einer Minderheit gewesen wäre, hätte auch ich recht früh mein Bändchen Gedichte haben können“, sagte mir ein rumänischer Lyriker und Dramatiker aus Temeschburg später einmal, nicht ohne Neid auf die bevorzugten deutschen Dichter im Banat.
Manch einer ließ sich gerne fördern und von Leuten wie Berwanger vereinnahmen, auch für die Sache der Partei. Doch war das nicht kurzsichtig und illoyal im Verhältnis zu rumänischen Literaten? War die Gesellschaft zu verändern, wenn jede system- und ideologiekritische Haltung vermieden wurde? Wohl kaum!
Die Securitate lauerte zwar überall mit Argwohn, lies die Kunstschaffenden aber trotzdem gewähren, bis zu jenem Tag, als nicht nur apathischer Konformismus, sondern auch deutliche Unterwürfigkeit eingefordert wurde.
Personen, die jahrelang unter den Bedingungen des Systems agiert, geschickt die Klippen umschifft und bewusst kulturell tätig gewesen waren, sollten nunmehr demonstrativ das Kriechen und das Katzbuckeln einüben und an ehrrührigen, schäbigen Vorgängen wie Infiltration, Ausspionieren und Denunziation von Kollegen mitwirken.
Ab diesem Zeitpunkt des Rückfalls in stalinistische Praktiken übelster Art, etwa um 1985, gingen selbst die bis dahin systemloyalen Künstler vorsichtig auf Konfrontationskurs und in die Gegenoffensive, passiv zunächst, nicht aktionistisch, indem sie sich weigerten, die literarisch-moralische Prostitution aktiv zu unterstützen, immer noch überzeugt, die führende politische Kraft im Land, die eine Partei, die immer recht hat, werde doch noch eine gütige Lösungherbeiführen.
Als Folge der Renitenz und leisen Protesthaltung kam es zu Hausdurchsuchungen. Zunächst bei Horst Samson, einem Dichter und Journalisten, der seit Jahren seiner Arbeit als Kulturredakteur bei der Neuen Banater Zeitung nachkam und gleichzeitig die Aktivitäten des Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreises als Sekretär koordinierte.
Was war in der Privatwohnung eines Dichters aufzufinden? Manuskripte, Entwürfe, Skizzen, Ideen, Korrespondenz mit befreundeten Geistesschaffenden aus der DDR und der Bundesrepublik, Fotos und natürlich Bücher. Beschlagnahmt wurde dann, etwa bei Samson, vor allem Dissidentenliteratur; ferner Subversives, Antisozialistisches, Werke von Solschenyzin, von Goma und selbst Weltbestseller wie Doktor Schiwagovon Nobelpreisträger Boris Pasternak. Die halbe Welt hatte bereits die grandiose Hollywood-Verfilmung des Stoffes gesehen. In Temeschburg aber konfiszierte die Securitate den Roman eines Russen, der zufällig ein sehr humaner Literat von Weltformat war. Und dies dreißig Jahre nach Stalins Tod. Ein zehnstündiges Verhör in den Räumen der Securitate sollte Klarheit bringen. Es verlief glimpflich und führte zu keiner Rechtsverfolgung.
Nicht besser erging es Samsons Kollegen Rolf Bossert, einem Dichter aus der Reschitzer Gegend, der sich schon 1972 dem Freundeskreis der so genannten Aktionsgruppe angeschlossen hatte. Auch bei ihm wurden die Zimmer durchwühlt. Als in seiner philatelischen Sammlung auch Briefmarken aus der Zeit des Tausendjährigen Reichs gefunden wurden, Postwertzeichen, die den Kopf des Führers und das Hakenkreuz abbildeten, musste er befürchten - wie einst Totok - zum faschistischenDeutschen gestempelt und möglicherweise sogar verurteilt zu werden. Ein Alptraum, ausgerechnet für Linke.
Ceausescus Palast
Carl Gibson, Lesung
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