Leseprobe,
aus Carl Gibson, Symphonie der Freiheit
Zum Tod
eines Dichters
Es ist nicht schwer auszumalen, dass ein sensibler
Dichter, der eigentlich nur Verse zimmern wollte, dem rohen Terror der
Verfolgungsorgane nicht gewachsen war. Unfähig, sich den permanenten
Nachstellungen, die teilweise Jagdcharakter annahmen, zu entziehen, entschloss sich
auch Bossert zur Ausreise in die Bundesrepublik. Die Folge davon war in seinem
Fall eine Intensivierung der vielfachen Belästigungen und Schikanen durch die
Securitate, die allesamt die Psyche des zarten Poeten weiter angriffen und
zerrütteten.
Von Horst Bossert, der kaum zwei Monate nach seiner
Ankunft in der Bundesrepublik unter rätselhaften Umständen zu Tode kam, zitiert
man auch heute noch gerne sein symptomatisches Inserat: suche hund mit 2 mäulern/ der nicht schweigen muß / während er beißt.
Sein tragischer Tod schockte Teile der informierten westlichen Öffentlichkeit
und richtete fortan den Blick auf die Praktiken der Securitate, die auch andere
Künstler verfolgte. Herta Müller konstruierte später daraus eine Fiktion.
Rolf Bossert, ein Dichter mit leichtem Hang zur
Melancholie, wie es Freunde bezeugen, gab nach seiner Ankunft in der
Bundesrepublik ein vielsagendes Interview, welches am 20. Februar 1986 in der Frankfurter Rundschau erschien. Es steht
unter dem Titel Der Exitus der
deutschsprachigen Literatur Rumäniens, und ist, da es viel über die Situation
der Schriftsteller in einer Diktatur aussagt, auch heute noch recht lesenswert.
Im Jahr 1983 erhielt Rolf Bossert, der wohl begabteste
unter den damals im Banater Raum Dichtenden, den Preis des
Müller-Guttenbrunn-Kreises. In seiner Dankesrede nach der von Richard Wagner
gehaltenen Laudatio sagte Bossert einige komprimierte Worte, die auf die innere
und äußere Exponiertheit eines Dichters in einem totalitären System verweisen.
Es sind etwas verklausulierte Aussagen eines gehemmten Dichters, der noch nicht
ganz resigniert hat und der den schwierigen Bedingungen trotzend, doch noch
agierend eingreifen und die Gesellschaft, in der er leben muss, gestalterisch verändern
will.
Bossert spricht von der Poesie als Gegenentwurf zur Tagespolitik und von
der Rolle des Dichters im Umgang mit
der Macht: Ich suche mir nicht Bausteine
für einen Elfenbeinturm zusammen. Der Schriftsteller, so wie ich ihn sehe,
steht nicht über den Dingen, sondern darunter. Im Doppelsinn des Wortes. Ich
baue keinen negativen, keinen umgestülpten Elfenbeinturm. Ich plädiere für eine
Macht. Nicht für jene des Schriftstellerpolitikers, sondern für die des
Politikerschriftstellers. Ich plädiere für die poetische Macht. Ich glaube an
ihre Brisanz. Auch diese Macht steht jenseits des Moralischen. Ich plädiere für
einen Gegenentwurf, für eine Utopie. Ich bin mir der Gefahr, in die ich mich
begebe, bewusst. Ich weiß, gegen
Vereinnahmung kann man sich nur bedingt schützen. Ich weiß, dass die
anarchisch-ordnungsliebende poetische Macht gefürchtet wird, und deshalb kontrolliert, diskreditiert und
pervertiert. Ich vermute, dass der konsequenteste Schriftsteller jener ist, der
aufhört zu schreiben oder zu leben. Ich bin aber, wie alle Schriftsteller, zu
sehr Egoist, zu wenig Egoist. Ich will im Bewusstsein meiner Inkonsequenz
weitermachen. Wenn die Wellen über meinem Kopf zusammenschlagen, greife ich
nicht nach dem Strohhalm, sondern nach dem Federkiel.“
Bossert muss in die teilweise paradoxe Aussage
flüchten, um die Ausweglosigkeit des Künstlers zu beschreiben, die in letzter
Konsequenz das Scheitern impliziert. Wenn ein Schreiben in Freiheit nicht möglich ist, dann ist das Nichtschreiben, eigentlich
das Nichtveröffentlichen, ein Rezept des geistigen Überlebens, eines, das ich
seinerzeit praktizierte, um anderswo konkret oppositionell zu agieren. Ethisches
und verantwortungsvolles Handeln hatte nach meiner damaligen Auffassung Priorität
vor der Kunst, auch weil es existentieller war als die Welt des Schönen Scheins
in einer Welt des getrübten Scheins und der Täuschung.
Wenn Bosserts tragisches Ableben ein Freitod war,
Menschen, die ihn gut kannten, schließen auch diese Möglichkeit nicht aus, dann
ist die Tat in den zitierten Worten bereits geistig antizipiert.
Die Haltung, ich will nicht mehr, weil das
Gegengewicht der Welt mich erdrückt, das von Heine verdichtete und von mir
selbst erlebte Atlas-Syndrom, ist typisch für sensible Poeten, für Mimosen, die
von Panzern überrollt werden. Wenn der Druck der Welt zu groß wird, dann bricht
das Herz im Leibe und die Dichterseele, die darin wohnt, verfliegt im Äther.
Trägt der gleichgültige Westen eine Mitschuld an der
tragischen Entwicklung? Möglicherweise hat das Nicht-adäquat-Gehörtwerden in der westlichen Gesellschaft einen
Prozess, den die Securitate auf den Weg gebracht hat, noch beschleunigt!
Nemo propheta in
patria? Freund
Felix, die musische Mimose, war an der Ignoranz einer apathischen Gesellschaft
gescheitert - und selbst ich, mehr zäh als zerbrechlich, hatte den Schmerz des
einsamen Rufers in der Wüste vielfach erfahren müssen. Hinter der massiven
Enttäuschung lauert das individuelle Scheitern - wie hinter dem tiefen Leiden
die Verzweiflung lauert. Künstlerseelen, angesiedelt am Rande der Melancholie,
sind exponiert und immer gefährdet. Die Dissidenz im Feinen wie im Groben
fordert ihre Opfer, selbst noch lange danach. Womöglich ist Rolf Bossert ein
warnendes Beispiel.
Doch seine verkündete Vision war richtig. Die
poetische Brisanz, die schon bei Dichtern wie Sorescu und Blandiana, präsent
war, brach später bei Mircea Dinescu am eindeutigsten durch und erreichte
selbst die Menschen auf der Straße. Ab dem Jahr 1983 wurden auch Richard Wagner
und Herta Müller schikaniert, sagt man. Nur wurden sie auch konkret verfolgt,
verhaftet, verurteilt?
Wann, wo und wie? Ihre spärlichen Biographien geben
keine genaue Auskunft über konkrete Verfolgungen durch die Securitate. Und Herta
Müller schweigt auf meine Fragen! Warum wohl?
Manchmal konnte der Eindruck entstehen, die Securitate
suche sich die potentiellen Opfer geradezu aus - vielleicht nur, um die eigene
Ineffizienz zu überdecken. Der Kreis der Verfolgten wurde ausgeweitet. Während
sich Rolf Bossert wehrte, zur Feder griff und Petitionen an die Parteiführung
verfasste, in der Hoffnung auf diese Weise vor dem Zugriff der Securitate Schutz
zu finden - eine Prozedur, die ich selbst oft und gerne praktiziert hatte, ganz
nach dem Motto: divide et impera - gerieten andere in deutscher Sprache
publizierende Journalisten und Schriftsteller in den Fokus der Sicherheit,
unter ihnen Helmuth Frauendorfer, ein Poet meines Jahrgangs.
Als im Jahr 1984 Nikolaus
Berwanger, der kontroversierte Mäzen des größten Literaturkreises in Temeschburg,
nach einer Erholungsreise in der kapitalistischen Hölle nicht mehr in das
Arbeiterparadies zurückkehren wollte und es überraschend vorzog, in der von
Revisionisten und alten Faschisten durchsetzten Bundesrepublik zu verbleiben,
fehlte plötzlich der übermächtige Protektor der linken Literaten - und mit ihm
die schützende Ägide.
Die weitgehend kritischen Journalisten William Totok,
Samson, Frauendorfer standen nunmehr isoliert da - und mit ihnen auch Richard
Wagner und bis zu einem gewissen Grad wohl auch Herta Müller, die bis auf die
zwiespältig aufgenommenen Niederungen
kaum etwas veröffentlicht hatte.
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