Leseprobe,
aus Carl Gibson, Symphonie der Freiheit
Pour le Mérite!
Appell an den Großen Bruder! Von
der Freiheit, die sie meinten …
Als dann Helmuth
Frauendorfer 1985 spontan verhaftet, verhört und von der Securitate
verprügelt wurde, protestierten die fünf oben genannten Dichter, denen sich Johann Lippet, Dramaturg am Deutschen Staatstheater
in Temeschburg und Balthasar Waitz,
der in der gleichen Stadt einen weiteren Literaturverein leitete, anschlossen,
in einem umfassenden Protestbrief an
die Kommunistische Partei am Ort.
Der Protestbrief,
den ich als wichtiges und vor allem decouvrierendes
Beweisstück werte, ist nicht an Staatsführer Ceauşescu gerichtet, wie
gelegentlich suggeriert wird, sondern namentlich an den Ersten Parteisekretär der
Kommunisten Cornel Pacoste adressiert; nomen
est omen auch hier: Das rumänische Wort
Pacoste bedeutet nichts anderes als Heimsuchung
oder Unheil!
William Totok hat das aussagekräftige Dokument
zusammen mit anderen Zeugnissen aus jener Zeit in seinen Zwängen der Erinnerung
veröffentlicht. Es ist gleichzeitig das erste Dokument, aus welchem hervorgeht,
dass sich auch Herta Müller, aus deren Feder ich bis dahin nichts Regimekritisches kannte, in Opposition begab,
allerdings eingebettet in eine Gruppe von sieben Personen.
Das ambivalente Verhältnis Kunstschaffender zur Partei
und Securitate, von Rolf Bossert noch in abstrakten, ja verschlüsselten Worten umschrieben,
erscheint in dem Schreiben der Literaten an den örtlichen Parteisekretär, das
allerdings noch vor Berwangers Flucht abgeschickt worden war, als Klartext
exponiert. Dort heißt es unmissverständlich: Am 19., 20. ,21.und 24. Juli und am 20. August dieses Jahres ist unser
Kollege Helmuth Frauendorfer, Absolvent der Philologischen Fakultät in Temeswar
(1984), der ein beachtliches literarisches Debüt sowie eine vielseitige
künstlerische Betätigung ( er hat die Theatergruppe des Studentenkulturhauses
betreut) und eine publizistische Tätigkeit (…) aufzuweisen hat, vom Sicherheitsdienst
und zwar von Oberstleutnant Nicolae Păduraru und von Major Ioan Adamescu
verhört worden. Während des Verhörs ist unser Kollege beschimpft und
beleidigt worden. Er wurde aufgefordert,
vorformulierte Erklärungen zu unterschreiben, in denen er bestätigt, dass er
„staatsfeindliche Gedichte“ schreibe und ähnliche Aktivitäten betreibe. Ebenso
hat man von ihm gefordert, Erklärungen zu unterschreiben, die besagen, dass
wir, die wir diese Beschwerde unterzeichnen, ihn im Sinn dieser „staatsfeindlichen
Aktivitäten“ beeinflusst hätten. Dies, so der Sicherheitsdienst, sei auch durch
den Literaturkreis „Adam-Müller-Guttenbrunn“ geschehen, der von Oberstleutnant
Păduraru als „Räuberhöhle“ bezeichnet worden ist. Die „Räuberhöhle“ wird vom
Schriftsteller Nikolaus Berwanger, Sekretär des Schriftstellerverbandes
geleitet. Einige der Unterzeichner dieser Beschwerde sind Mitglieder des
Literaturkreises.
Während die Securitate ganz nach den Gepflogenheiten
in der breiteren Gesellschaft nun auch Literaten mit Kriminalisierungsabsicht
ins Visier nahm, suchten diese den altbewährten Schutzschild zu aktivieren,
ohne zu ahnen, dass Mentor Berwanger de facto resigniert, ja sein Heil bereits
in Flucht und Absetzung gefunden hatte.
Die Kunst der
Fuga - auch hier!
Der stramme Antifaschist von gestern war sich
plötzlich selbst der Nächste, vor allem, als er merkte, dass seine Landsleute in
großen Scharen und hellster Panik davonliefen, Haus und Hof verschleuderten,
nur um den scheinbar ewig zementierten Kommunismus für immer zu hinter sich zu
lassen.
Der kleine Lotse, der gleichzeitig der große Kapitän
war, ging vom sinkenden Schiff und lies die sich selbst überlassene Mannschaft
zurück, ohne Steuermann und Kompass, mitten im aufziehenden Sturm - und ohne
Beiboot! Das war Solidarität und Moral in der Form sozialistischer
Nächstenliebe. Zuerst komme ich! Und nach mir – die Sintflut!
Wir haben uns
entschlossen,
heißt es in der Solidaritätsbekundung der jungen Literaten weiter, diesen Brief zu schreiben, da der
Zwischenfall mit unserem Kollegen, der - nebenbei gesagt - mit einem
schriftlichen Verweis endete, nicht der erste dieser Art ist. Seit Jahren
werden wir von den Vertretern des Innenministeriums aus Temeswar belästigt. Was
wir schreiben, wird tendenziös umgedeutet, um zu beweisen, dass unsere
Tätigkeit subversiv ist. Man verweigert uns Auslandsreisen, es fanden
Hausdurchsuchungen und Festnahmen statt. Einigen Kollegen wird die Aufnahme in
den Schriftstellerverband verweigert, obwohl sie die nötigen Bedingungen dafür
erfüllen. Junge Schriftstellerkollegen, die am Anfang ihrer literarischen
Laufbahn stehen, werden eingeschüchtert oder durch Erpressungen gezwungen, mit
dem Sicherheitsdienst zusammenzuarbeiten u.a.m.
Dieses etwas aufmüpfig gehaltene Briefdokument
verweist zwar auf gängige Praktiken der
Securitate, ist aber noch längst kein Beweis gezielter Dissidenz, da ihm,
von der erwähnten Verprügelung eines Dichters abgesehen, die eigentliche Substanz
fehlt.
Im Grunde fordern die Literaten nur Marginales, das
eigentlich selbstverständlich sein müsste: Der sozialistische Staat möge ihnen
- den bisher weitgehend Privilegierten und Gehätschelten, die großzügig ihre
Büchlein drucken durften, weiterhin die Möglichkeit einräumen, nach eigenem
Geschmack und nach ihrer Fasson Literatur zu produzieren. Als Lohn sollte auch
ihnen die Aufnahme in den Olymp der Dichter, in den Parnass von Bukarest,
gestattet sein!
Freiheit in der Kunst? Gleichberechtigung der
Kunstschaffenden aller Nationalitäten! Dagegen ist nichts einzuwenden. Überall
auf der Welt sollten diese Prinzipien eine Selbstverständlichkeit sein!
Collage von Carl Gibson
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