Die
"Aktionsgruppe Banat", Herta Müller und ihr merkwürdiges Verhältnis
zur Rumänischen Kommunistischen Partei des Diktators Nicolae Ceausescu –
Leseprobe,
aus Carl Gibson, Symphonie der Freiheit
Aktionsgruppe ohne Aktion!
Literarische Dissidenz, Solidarität und Moral im Fall William Totok - Z
wischen geistiger Opposition und loyaler Kritik?
Das Phänomen ist bekannt.
Wenn die Schlachten geschlagen sind und die Sieger feststehen, will jeder auf
der Siegerseite sein. Nach dem Zusammenbruch des Nationalsozialismus im
Deutschen Reich waren Millionen von NSDAP-Mitgliedern auf einmal nur noch unfreiwillige Mitläufer - und
diejenigen, die einst die Straßenseite wechselten, um nicht einen Angehörigen
exekutierter Widerstandskämpfer grüßen zu müssen, entpuppten sich selbst als
Kombattanten der Alten Ordnung, als redliche Bürger und als Urdemokraten von
Anfang an.
In postrevolutionären
Rumänien, wo der erste Führer-Lobhudler
im Staat postwendend gleich zum ersten Dissidenten in Land avancieren wollte,
war es nicht viel anders, nicht weniger grotesk - und genauso heuchlerisch
oder, milder ausgedrückt, so allzumenschlich wie sonst wo. Die Feiglinge von
heute hatten viel Verständnis für die Feigheiten von gestern. Und weil sie
gerne Helden gewesen wären, damals, als es gefährlich war, ein Kämpfer zu sein,
wollen sie sich wenigstens heute zu Helden erheben, in vollendeter Selbstmythisierung,
wenn es sein muss. Die Welt will betrogen werden! Also helfen wir ihr dabei,
den Schein des Scheins aufrecht zu erhalten. Ungeniert wie Păunescu, Tudor und
andere ihres Schlages …“
Wer war in Rumänien ein
Dissident? Wer opponierte wirklich? Und reicht es schon, einem Anwerbeversuch
der Securitate widerstanden zu haben - wie Herta Müller nach eigenen Angaben -
um als Widerstandskämpfer zu gelten? Dann hätte es viele Dissidenten gegeben im
sozialistischen Rumänien des Diktators Ceauşescu!
Die Wirklichkeit sieht
anders aus. Mit der Lupe hätte man sie suchen können, die Oppositionellen im
Land - und wäre kaum fündig geworden. Und die Andersdenkenden unter den
Literaten und Künstlern? Da wäre ein Elektronenmikroskop angebracht gewesen, denn
so gering war ihre Präsenz im 22 Millionen-Einwohner-Staat!
Als ich seinerzeit im Jahr
1977 in Temeschburg unter den Intellektuellen vor Ort nach geistigen Allianzen
suchte, fand ich wenig oppositionelles Potential vor. Und selbst viele Jahre
danach, in der analytischen Rückschau, wurde es nicht besser. Wirkliche Dissidenten
unter den Kunstschaffenden damals blieben die Ausnahme. Und unter den Kreativen
deutscher Zunge war die Situation noch enttäuschender, ja fast nicht existent,
wenn man von seltenen Ausnahme-Charakteren absieht, die bekanntlich die Regel
bestätigen. Die Details der damaligen Situation, die noch viel Raum für wissenschaftliche
Aufarbeitung bietet, beschreibe ich in Gegen
den Strom. Die folgenden Kapitel daraus repräsentieren einen essentiellen Auszug, der auch das Verhältnis
zu den rumänischsprachigen Autoren und Dissidenten markiert sowie Unterschiede
hervorhebt.
Als ich seinerzeit - wie Herakles am Scheideweg
angekommen - dabei war, meine künftige Positionsbestimmung vorzunehmen,
festigte sich die Gewissheit, dass ich im weitläufigen Bekanntenkreis
linksorientierter Literaturschaffender keine politische Heimat würde finden
können. Die meisten unter ihnen wollten primär nur Künstler sein, Poeten, Schriftsteller, während ich nach
gesellschaftskritischen Charakteren, nach politisch denkenden Oppositionellen
und nach potentiellen Widerständlern Ausschau hielt. Darüber hinaus war meine
Absetzung von der selbstapostrophierten Avantgarde, die sich aus historischer
Sicht und vor allem aus politischer Sicht als nichtrepräsentative Minderheit in einer Minderheit verstand, neben
ethischen Kriterien und literaturästhetischen Faktoren von weltanschaulichen
Überzeugungen bestimmt, die eindeutig antikommunistischer
Natur waren.
Systemimmanente
Kritik zu
akzeptieren, Anregungsvorschläge aus der Partei, das System selbst zu
reformieren, fiel mir 1977/78 sehr schwer, weil ich das kommunistische System selbst weder
für verbesserungswürdig, noch für verbesserungsfähig hielt. Der Geschichtsverlauf
seit der Oktoberrevolution, in welchem ein totalitäres Regierungssystem in
vielen Staaten zum Durchbruch gelangte, sprach dagegen. Im real existierenden
Sozialismus sah ich nur die gescheiterte Utopie. Nach meiner damaligen
Einschätzung waren die linksorientierten Poeten vor Ort, die, wenn überhaupt,
nur sehr zaghaft aufmuckten, keine Dissidenten
im eigentlichen Sinne des Wortes - bis auf einen vielleicht. Und nach meinem Empfinden hatten sie bis zu
einem gewissen Grad auch moralisch versagt, weil sie den Kommunismus nicht nur als
gottgegeben hinnahmen, sondern ihn sogar begrüßten, der Partei zujubelten, sich
mit ihr arrangierten und sogar paktierten, um ihre Zwecke, Studium und
Publikationen, zu erreichen - und weil sie die verlogene Weltanschauung über
ihr Handeln, ja dort, wo es darauf ankam, durch ihr Nichthandeln fast bis
zuletzt billigend stützten.
Damals urteilte ich - wie im Fall Berwanger deutlich
wurde - aus der radikalisierten, kompromisslosen Sicht des Einzelkämpfers, der
konsequent seinen Weg geht, vom Idealismus getragen, geradeaus, auch wenn
dieser in den Untergang führen sollte. Für rein existentielles Verhalten hatte noch
ich keinen Sinn - bis zu dem Zeitpunkt, wo mir diese Haltung fast zum
Verhängnis geworden wäre. Wie gestaltete sich die konkrete und geistige
Situation damals in Temeschburg?
Nach mehreren Jahren argwöhnischer Beobachtung hatte
der Sicherheitsdienst in der Stadt an der Bega die so genannte Aktionsgruppe Banat 1975 schließlich
verboten und aufgelöst - nachdem einige ihrer Mitglieder, unter ihnen auch mein
dichtender Nachbar Gerhard Ortinau, zeitweise verhaftet und mehrtägigen
Verhören unterzogen worden waren.
Die vermeintlich liberalen Vorgaben des Staates, über
alle Themen des täglichen Lebens kritisch berichten zu sollen, von rumänischen Intellektuellen ebenso missverstanden
wie von Angehörigen der Minderheiten, waren wohl aus dem Ruder gelaufen und
hatten sich selbstständig gemacht. Gegen die verhafteten Linken, die in ihrer
Überzeugung und inneren Wahrhaftigkeit vielleicht wirklich linker waren, als es
der Staat erlaubte, wurde der plakative Vorwurf erhoben, sie hätten faschistische
Literatur verbreitet, nachdem die Securitate bei William Totok ein Exemplar von
Hitlers Mein Kampf gefunden hatte,
vermutlich ein Propagandarelikt aus der Vorkriegszeit, das die massenhafte
Bücherverbrennung im Backofen vor dem Zusammenbruch des Dritten Reiches überstanden
hatte.
Im Anschluss an einen einwöchigen Aufenthalt im Untersuchungsgefängnis der Securitate in
Temeschburg mit ausführlichen Vernehmungen waren dann Richard Wagner, der Spiritus rector der Aktionsgruppe, mein
poetischer Nachbar Gerhard Ortinau
und der landesweit ausgewiesene Literaturkritiker Gerhard Csejka wieder auf freien
Fuß gesetzt worden. Die gegen diese Vierergruppe erhobenen Vorwürfe, unter
anderem ein ihnen unterstellter illegaler
Grenzübertrittsversuch, die sich als weitgehend absurd erwiesen hatten,
waren im Vorfeld fallen gelassen worden.
William Totok hingegen, gegen den anderes
Geschütz aufgefahren worden war, blieb weiterhin in Untersuchungshaft, teils im
Securitate-Bau, teils im Gefängnis in der Popa Sapca-Straße, ganze acht Monate
lang, bis er aufgrund eines aufklärenden Berichtes der französischen Zeitung Le Monde freikam. In dieser Zeit bemühte
sich der Securitate-Apparat in Temeschburg darum, William Totok, der einige zeitkritische Gedichte verfasst
und in den Westen geschmuggelte hatte, antisozialistische
Propaganda vorzuwerfen.
Hauptmann Petru Pele, der Basilisk persönlich, hatte
es auf ihn abgesehen, unterstützt von wem? Vom Krokodil natürlich, vom
gutmütigen Köppe, der William Totok bereits seit dem Militärdienst im Visier
hatte. Der triviale Vorwurf, das Bewusstsein der Leser vergiften zu wollen, der
in der gleichen Art schon früher gegen jene fünf Siebenbürger Schriftsteller
vor Gericht erhoben worden war, stand nach weiteren sechzehn Jahren
sozialistischen Gesellschaftsaufbaus wieder im Raum; zu einem Zeitpunkt, als
die scheinbar etwas liberaler gewordene Republik ihr früheres Unrecht bereits
eingesehen und die sächsischen Schriftsteller nach mehrjähriger Haft begnadigt
und rehabilitiert hatte.
Nach dem gleichen Schema wie damals, als Kollegen
gegen Kollegen aussagten, sollten auch diesmal systemloyale Gutachter aus dem
akademischen Umfeld der Universität Temeschburg zum subversiven Charakter der Dichtungen Stellung nehmen. Der Staat fürchtete Kritik, selbst die
Kritik von links, eben weil er starr und nicht reformierbar war. William
Totok, wurde, repräsentativ für die moderaten Kritiker und vielleicht auch zur
Abschreckung anderer lyrischer Rebellen, ins Gefängnis geworfen und dort ohne Urteil acht Monate festgehalten,
allein auf den Verdacht gestützt, er hätte sozialismusfeindliche
Literatur produziert.
Die beiden anderen Studienkollegen, Wagner und Ortinau,
aber kamen recht glimpflich davon. Weshalb, fragte man mich damals in der
Szene. Wie hatten sie es geschafft, so schnell freizukommen? Wogen ihre
literarischen Vergehen weniger schwer als Williams Totoks Poesie?
Das war ein kaum zu durchschauendes Geflecht, eine
labyrinthische Angelegenheit, die für Außenstehende damals noch nicht zu
entwirren war. Die Securitate, das wusste ich aus eigener Erfahrung, war nicht
immer kalkulierbar - und nicht alle ihre Handlungen waren logisch
nachvollziehbar. Gerhard hatte mir in unseren nächtlichen Gesprächen zwar
einiges angedeutet; doch erst als ich nach vielen Jahren William Totoks Erinnerungen
in der Hand hielt, jene Zwänge der
Erinnerung, 1988, nach seiner Ausreise, in Deutschland erschienen, sah ich
die Dinge etwas klarer.
Selbst heute sind die damaligen Entwicklungen nur zum
Teil aufgeklärt, weil immer noch viele Dokumente unter Verschluss stehen und
die Securitate – anscheinend unter dem neuen Namen SRI wieder auferstanden und
quicklebendig – auch heute noch nach eigenem Ermessen selbst zu bestimmen
scheint, wer in ihre früheren Dossiers Einsicht nehmen darf und wer nicht. Einige
sonderbare Verhaltensweisen deuten darauf hin, die CNSAS, die dortige
Gauck-Behörde, sei eine Institution, die offensichtlich mehr verstecke, als sie
offen lege und aufkläre. Nur was war damals wirklich los?
Weshalb musste
William Totok, wohl der einzige Poet des Kreises mit einem wirklichen Sinn für
politische Veränderung über aktive Opposition und Dissidenz, für alle büßen als
armer Sünder am Pranger? Mangelte es im Freundeskreis der Gruppe
an zwischenmenschlicher und geistiger Solidarität? Hatten die Freunde den in
Not geratenen Mitstreiter hängen lassen oder gar belasten müssen? Hatte man sie
ausgequetscht, mit Drohungen überhäuft und dann erpresst nach der alten Securitate-Vorgehensweise
aus dem stalinistischen Lehrbuch? Oder gab es überhaupt keine Möglichkeit, dem
Bedrängten irgendwie zu helfen?
William Totok hatte, wie wir es inzwischen aus Wagners
Gesprächen wissen, tatsächlich provokative
Lyrik in den Westen geschickt, was allerdings nicht explizit verboten war.
Hatte er mit seiner Aktion
individueller und fahrlässiger agiert als andere Mitglieder der Aktions-Gruppe, die sich strenger und
präziser an die selbst definierten, mündlich untereinander abgesprochenen
Regeln und Statuten gehalten hatten? Und was besagten diese Regeln der
Festelegung und Selbstkastration? Wozu noch aktiv als Aktionsgruppe ein Weltverbesserertum anstreben, wenn man sich
selbst den Maulkorb anlegt und sich selbst beschneidet? In freiwilliger
Selbstzensur! In servilem, vorauseilendem Gehorsam? Aber ja, der Begriff Aktionsgruppe war schließlich von außen
an den losen Freundeskreis herangetragen worden – als hermeneutischer Begriff –
und war somit nicht Programm!
Wagner hat inzwischen vieles eingesehen, eindeutig
Stellung bezogen und etwas reumütig Näheres zu dem unerquicklichen Ereignis von
damals ausgesagt. In einem Gespräch mit dem Literaturhistoriker Stefan Sienerth
vom IKGS, das dieser in den 1997 erschienenen und gerade neu aufgelegten Band Dass ich in diesen Raum hinein geboren
wurde. Gespräche mit deutschen Schriftstellern aus Südeuropa aufnahm, betont Wagner im damals schon
heißgeliebten, doch kaum praktizierten Klartext: Unsere Entlassung damals nach einer Woche Untersuchungshaft war eine
Blamage für die Securitate. Das war der Hauptgrund, warum sie sich auf William
Totok konzentrierten, ihn dann wenigstens stellvertretend bestrafen wollten.
Dazu muss noch gesagt werden, dass wir, die anderen, ich selber, uns zu unserem
Kollegen nicht solidarisch verhalten haben. Wir haben ihn fallenlassen. Wir
waren auf die Situation nicht vorbereitet. Totok war angreifbarer als die anderen
aus der Gruppe, auch weil er sich nicht an die Grupperegeln gehalten hatte. Hinter
formalen Gründen regt sich ein Gewissen.
Gruppenregeln? Wie vertragen sich diese Selbstbeschränkungen mit dem freien
Willen freier Individuen?
Dann aber formuliert Wagner den essentiellen Satz, der
auch für die ideelle Beurteilung und Interpretation seiner Werke aus jener Zeit
richtungsweisend sein dürfte: Wir
strebten keine Dissidenz an, sondern eine Art loyaler Kritik.
Zuerst kam das
Literarische. Das war bei ihm nicht so. Er schickte beispielsweise unveröffentlichte
Gedichte in den Westen, wobei es einen gegenteiligen Beschluss in der Gruppe
gab. Ich erfuhr davon beim Verhör. Und wollte damit auch nichts zu tun haben.
Damit zeigte sich die Befangenheit in der eigenen Perspektive. Ich wollte nicht
ausreisen und wollte auch kein verbotener Autor sein. Hätte ich zu Totok
gestanden, wäre ich 1975 ein Dissident geworden und wäre mit ein paar Gedichten
im Kopf nach Frankfurt am Main gekommen. Wollte ich aber nicht. Soweit Wagner im Rückblick.
Aus meiner Sicht war der Satz: Wir strebten keine Dissidenz an, sondern eine Art loyaler Kritik,
dessen ungeistige Botschaft mich leitmotivisch verfolgte wie eine böse Schimäre,
eine schlichte Katastrophe! Eine geistig-moralische Bankrotterklärung! Denn dahinter stand die indirekt passive,
doch faktische Anerkennung des Status quo und einer illegitim an die Macht
gelangten Partei, deren Wesen autoritär, ja sogar totalitär war, selbst nach
der finsteren Zeit des Stalinismus!
Viele Mitläufer, Historiker, Literaten, Journalisten, fast
alle in irgend einer Führungsposition, haben diese später als verbrecherisch gebrandmarkte und
moralisch verurteilte Partei praktisch anerkannt, gebilligt, geduldet, nur um
den eigenen Weg des Kompromisses
gehen zu können, um Karriere zu machen und im
Rahmen des Systems gut zu leben!
Wagners fataler Satz ist ein spätes partielles Schuldeingeständnis
und auch eine Selbstapologie. Aber er ist immerhin aufrichtig!
Ähnliches hatte ich nach der verheerenden Wirkung von Niederungen auch aus dem Munde Herta
Müllers erwartet, zumal sich ihre Angriffe gegen die übel bedrängten und
geschwächten Landsleute richteten - und nicht gegen den Großen Bruder, um
dessen Schutz sie sogar noch anhalten sollte! Doch da kam nichts, was auch nur den
Hauch von Einsicht, Bedauern oder gar eine Entschuldigung
für eigenes Fehlverhalten hätte erkennen lassen!
Die Securitate frohlockte. Kommunikative
Missverständnisse untereinander nutzte sie gnadenlos aus. Offenbar war es der
Securitate damals gelungen, einen Keil in die Gruppe zu treiben und ihre Mitglieder zu spalten und voneinander zu
isolieren. Nur: Wie kann eine Welt der Angst, des Terrors und der omnipotenten
und allpräsenten Heuchelei letztendlich mit einer Art loyaler Kritik verändert werden?
Und wie kann man
eigentlich politisch denken wollen und zugleich apolitisch schreiben? Ich konnte so etwas nicht!
Weder damals noch heute! Heldentum und Märtyrertum waren nicht einzufordern;
das wusste ich längst. Doch man hätte auch schweigen können - oder nichts
veröffentlichen! So handelte ich damals - dafür galt ich nicht als Dichter!
William Totok, der erst im Jahr 1987 kurz vor dem
Zusammenbruch des Kommunismus in Rumänien nach Westberlin ging, zu einem
Zeitpunkt, als alle anderen schon gegangen waren, ist seinen weltanschaulichen
Überzeugungen treu geblieben. Als leidenschaftlicher Linker von Anfang an und
militanter Antifaschist bemüht er sich auch heute noch, der historischen
Wahrheit zum Durchbruch zu verhelfen. Zwischen Deutschland und Rumänien hin und
her pendelnd und im kontinuierlichen Dialog mit Zeitzeugen sowie politischen
Akteuren der Gegenwart ist Totok bestrebt, dort Aufklärungsarbeit zu leisten,
wo sie dringend notwendig ist - als Autor und Publizist hier im Westen und dort
im neuen EU-Staat Rumänien, um so den Demokratisierungsprozess im Land seiner
Geburt voranzutreiben; und dies im permanenten Kampf gegen neu aufkommende totalitäre
und antisemitische Tendenzen gerade in Rumänien! Die nur über individuelle und
kollektive Vergangenheitsaufarbeitung und Vergangenheitsbewältigung zu
erarbeitende historische Wahrheit ist
die Voraussetzung zur Implementierung demokratischer Strukturen schlechthin.
Weltanschauliche Überzeugungen müssen nicht immer eine
unüberwindbare Hürde sein. Wenn Offenheit gegeben ist, ist Weltanschauung
sekundär. Geleitet vom gemeinsamen Ziel einer historischen Wahrheit können
selbst ideologisch divergierende Ansätze zu guten Ergebnissen führen. Das ahnte
ich damals 1977 nur dunkel. Bestätigt fand ich es nach Jahrzehnten in der
publizistischen Zusammenarbeit mit William
Totok, Johann Böhm und Dieter
Schlesak bei der Halbjahresschrift
für südosteuropäische Geschichte und Literatur, einer neuzeitlichen
Publikation, die – mehrsprachig auch über das Internet verbreitet – schnell und
unmittelbar über aktuelle Entwicklungen gerade in Rumänien informiert. Wir
Dissidenten von einst, geprägt von der Solidarität der Zelle, dachten und fühlten
ähnlich. Der Dichter erkennt den Dichter,
der Geist den Geist - und der Andersdenkende erkennt den anderen Dissidenten
eben weil sie alle - mit Tucholsky - die Freiheit und dahinter die Wahrheit
sowie die Gerechtigkeit anders fühlen als die Apologeten des Kompromisses. Totoks
Forum ist heute primär das mehrsprachige, auch als Online-Edition verfügbare
Blatt Halbjahresschrift für südosteuropäische
Geschichte, Literatur und Politik, kurz HJS, eine Zeitschrift, in welcher
auch einige meiner Beiträge zur Geschichte der Oppositionsbewegung in Rumänien
erschienen sind, nicht zuletzt - und avant la lettre - ein Vorabdruck aus der Symphonie der Freiheit.
William Totok ist der wohl am besten informierte
Journalist im Westen, wenn es um die rumänische Aktualität geht. Die damaligen
Ereignisse rund um die Verhaftung der befreundeten Autoren, die
Untersuchungshaft und den Gefängnisaufenthalt hat Totok in seiner ausführlichen
Zeitbeschreibung dokumentiert und als Buch veröffentlicht. Für sein
detailgerechtes, gut recherchiertes und mit vielen Quellen bestücktes
Erinnerungswerk, für seine konsequente Haltung über Jahrzehnte und für das
engagierte Eintreten für Demokratie hätte er einen besonderen Preis verdient! Vielleicht
einen jener Preise, die aus einem groben Missverständnis heraus anderen zugesprochen
wurden! Anderen, weil aus Unkenntnis der Materie angenommen wurde, sie hätten opponiert! Dabei profitierten
gerade diejenigen Akteure, die das
Totalitäre billigten, indem sie es ohne zu widersprechen tolerierten, sich
mit ihm arrangierten, ja es sogar öffentlich
anerkannten und sanktionierten!
Verkehrte Welt!?
Eine um weitere Quellen angereicherte Neufassung der Zwänge der Erinnerung mit Interviews historisch
involvierter Personen erschien in rumänischer Sprache unter dem Titel Constrîngerea memoriei im Jahr 2001.
William Totok hat in einem mutigen Akt der Vergangenheitsbewältigung, der
Rumänien bitter Not tut, einige seiner
früheren Peiniger in Zwiegesprächen zur Rede gestellt, unter ihnen einen
unmittelbaren Handlanger des Systems, einen Militärstaatsanwalt Burca, der - frech
und ungeniert auch heute - seine damalige Arbeit nur aus Liebe zur Wahrheit versehen haben will! Ein Unding - doch
typisch für das ganze System! Ebenso interviewte er einen hohen Securitate-Offizier,
der Einblicke in die Funktionsweise und in die Hierarchie des Geheimdienstapparates
gab sowie einen harmlosen Universitätsdozenten, dem es sehr peinlich war, seinerzeit
gedrängt von der Securitate als Gutachter und Interpret der Lyrik Totoks mitgewirkt
zu haben - und der heute, nach der Revolution, in die gleiche Situation
versetzt, gerne viel mutiger reagieren würde. Letzterer starb nach bevor er
Gelegenheit erhielt, Mut zu beweisen!
Alle wurden mit den damaligen Ereignissen rund um
seine Verhaftung und Verurteilung konfrontiert. Allein schon die Art, wie die
Akteure nach Jahren der Demokratisierung über ihre einstigen Taten sprechen,
gibt zu erkennen, wie verlogen das gesamte
System damals war; und wie feige der einzelne Bürger. Totok lässt die
Fakten sprechen und verzichtet selbst auf Schuldzuweisungen. Dafür wird eine
Materie so umfassend aufgeklärt, dass sie auch vom westlichen Leser gut
nachvollzogen werden kann.
Der zweite der Totok-Brüder aus Großkomlosch, Gunter,
prallte anders mit der Securitate zusammen. Die Freiheit der Rede hatte es ihm angetan, das frei gesprochene Wort
auf der Straße. Gelegentlich traf ich Gunter in der Bastei, ohne zunächst zu
wissen, dass er ebenfalls von der Securitate politisch verfolgt, verurteilt und
durch berüchtigte Gefängnisse gezerrt worden war. Auch vom ihm erfuhr ich
damals keine Details über literarische Opposition und Widerstand oder über das
weitere Schicksal seines Bruders William. Gunter, von dem ich nicht wusste, ob
er sich überhaupt literarisch betätigte, hatte die spleenige Art eines Dandys,
der mit halbmisanthropisch verächtlichem, halb elitärem Blick in die Welt
schaut. Er war ein schöner Jüngling, eine imposante Gestalt mit langen, blonden
Haaren und einem mächtigen ungarischen Schnurrbart, im hellblauen Markenjeansanzug
und hohen Wildlederstiefeln und wirkte, wenn er lässig daher trottete, wie ein
magyarischer Husar oder ein altgallischer Kämpfer, wie ein Vercingetorix im
zwanzigsten Jahrhundert, der als anachronistische Erscheinung aus der Zeit der
Völkerwanderung, provozierend in die Welt des Sozialismus hineinragte. Seine
äußere Protesthaltung ging sicher noch weit über die meine hinaus. Wenn wir
gelegentlich bei einer Tasse Kaffee beisammen saßen, kam er auch auf die
Berührungen mit dem Sicherheitsdienst zu sprechen und die Verfolgungen, denen
beide Brüder ausgesetzt waren. Er kannte das Terrarium, den Basilisken und das
Krokodil - und war nicht gut darauf zu sprechen. Details über frühere Entwicklungen
wurden jedoch kaum erörtert und blieben mir auch sonst verborgen, vielleicht,
weil wir uns nur oberflächlich kannten. Trotzdem verband uns ein Band
gegenseitiger Sympathie, das auf unsichtbaren parapsychologischen Schwingungen
zu beruhen schien und auf einem Hauch gemeinsamen Protests. Erst später, als
ich Williams Lebensbeschreibung las, erfuhr ich, dass auch Gunter massiv von
der Securitate bedrängt worden war. Er war zwei Jahre vor mir verhaftet worden
und - unter dem an sich unhaltbaren Vorwurf, er hätte faschistisches
Gedankengut verbreitet - wegen ausgeübter
antisozialistischer Propaganda zu fünf Jahren Haft verurteilt worden. Sein
Leidensweg führte ihn in Ketten in das berüchtigte Gefängnis von Aiud. Er kam
erst mit frei, als William, der Dichter und Dissident, auf internationalen
Druck hin aus der Haft entlassen wurde.
Mir fehlte seinerzeit der volle Durchblick der Entwicklungen
um die Aktionsgruppe, die ich nur gerüchtweise aufnahm. Konkrete Antworten
blieben damals aus … Aber sie interessieren auch heute noch, da sie die historische Wahrheit erhellen und damit
dem Mythos entgegenwirken. Aufgrund der Unkenntnis der Fakten entzog sich
mir die volle Dimension der literarischen
Opposition vor Ort, dieses unmittelbar neben mir abrollenden Martyriums weniger
Charaktere für freie Meinungsäußerung in Form von Poesie, bis auf die
Andeutungen Gerhards, die ich damals nicht alle richtig werten konnte.
Die anderen Literaten, fast alle Germanistik-Studenten
an der Universität, wurden zwar auch
immer wieder belästigt, doch blieben
ihnen besondere Brutalitäten offensichtlich erspart. Ihre Kollision mit der Securitate, die sich etwa bei Herta
Müller zunächst akzidentiell gestaltete, später aber, falls ihren fiktiv
gestalteten Sujets auch etwas Wahrheit zukommt, nachhaltiger wurde, ergab sich
aus dem Umstand - wie der Lyriker Dieter Schlesak es in den oben erwähnten
Gesprächen mit Professor Stefan Sienerth
vom IKGS einmal treffend formulierte
- dass einige aus der Aktionsgruppe die
realsozialistische Gesellschaft links
überholen wollten, also aus weltanschaulichen Gründen! Und wohl durch den
unvermeidlichen Zusammenprall einer idealen
sozialistischen Vorstellung mit dem real
erlebten Sozialismus in der Gesellschaft.
Aus heutiger
Rückschau wird deutlich, dass das Repressionsinstrument des Staates Securitate,
die alle oppositionellen Regungen - die linksprogressiven wie die rechtkonservativen
- gleichermaßen vehement bekämpfte, unser gemeinsamer Gegner war. Alle
oppositionellen Kräfte hätten sich schon damals gegen diesen Leviathan
verbünden müssen. Leider war das nicht möglich gewesen - und so blieb es beim singulären
Protest einzelner Individuen, bis auf wenige Ausnahmen. Eine davon konstituierte
sich in Temeschburg in unserem Dissidentenkreis OTB.
Deutsche
Dichter im Fadenkreuz der Securitate. Dissidenz oder Mythos – ethnische
oder ideologische Diskriminierung?
Als im Sommer 1979 einer meiner schwäbischen
Mithäftlinge aus der Ortschaft Marienfeld seine Haftzeit verbüßt hatte und
wieder nach Hause durfte, bat ich ihn, meine Eltern in Sackelhausen
aufzusuchen. Das auf dem Dachboden versteckte Romanfragment Die Flucht in die Heimat, ein Manuskript
über das Los zwangsdeportierter Deutscher in Russland, machte mir Sorgen. Es
müsste so schnell wie möglich verbrannt werden, dachte ich, da ich bei einer
möglichen Auffindung der Schriften durch die Securitate massive Schwierigkeiten
im Zusammenhang mit antisozialistischer
Propaganda befürchtete; sprich: neue Untersuchungen, ein weiteres Urteil
und ein paar Jahre mehr Haft!
Der Landsmann hielt sein Wort nicht - und schrieb nur
eine Postkarte. Zufälligerweise blieb diese
nicht in den Filtern der Securitate hängen. Sie wurde zugestellt - mit
der Klartextbotschaft, das schon heiße Manuskript ins Feuer zu werfen. Das war
eine törichte Angelegenheit, die mich Kopf und Kragen hätte kosten können. Doch
ich hatte Glück. Mein eingeweihter Cousin Günther hatte das halbfertige Opus bereits
unmittelbar nach meiner Verhaftung vernichtet.
Andere Dichter und Schriftsteller deutscher Zunge
hingegen waren mit weniger Fortune gesegnet. In ihren Schubladen fand die
Securitate umfassende Schriftstücke vor, intime Tagebücher, Entwürfe, Notizen,
Ideen, unvollendete Manuskripte, verbotene Literatur und anderes an geistiger
Konterbande, alles Materialien, aus welchen den Betroffenen schnell ein Strick
gedreht werden konnte. William Totok, einer der am eindeutigsten Verfolgten,
hat in seinen beiden Buchveröffentlichungen zahlreiche Quellen
zusammengestellt.
Opfer von Hausdurchsuchungen und Verdächtigungen durch
die Securitate sowie von anschließenden Verhören wurden - neben
Kunstschaffenden, die heute kaum noch einer kennt wie den Poeten Botlung - selbst
Personen aus dem akademischen Umfeld. Hauptsächlich aber standen die Dichter
aus dem Freundeskreis der Aktionsgruppe im Fadenkreuz; unter ihnen mein Nachbar
Gerhard Ortinau, William Totok, Rolf Bossert und später auch Horst Samson, der
langjährige Sekretär des Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreises
sowie Helmuth Frauendorfer. Jeder von ihnen galt als verdächtig, ungeachtet der
Tatsache, dass sie alle mit Fug und Recht dem linkssozialistischen Spektrum
zugeordnet werden konnten - der Aspekt, der
deutschen Minderheit im Land anzugehören und ausschließlich in deutscher Sprache zu veröffentlichen, wog wohl schwerer.
Einerseits bemühte sich das offizielle Rumänien um
eine vorbildliche Minderheitenpolitik
und gönnte diesem kleinen Kreis Literaturschaffender eine an sich privilegierte Nischenexistenz mit Bevorzugungen, von denen
angehende rumänische Künstler nur träumen konnten. Andererseits setzte das
System ideologisch-nationalistisch ausgerichtet in einer nichtdeklarierten ethnischen Diskriminierung auf die vollständige Assimilation der Minderheiten
und verdächtigte deshalb selbst Angehörige linksorientierter Gruppierungen,
weil sie in ihrer Art, Kunst zu produzieren, vielleicht weniger konform auftraten,
als erwünscht. Zumindest unterblieb bis zu meiner Ausreise im Jahr 1979 die öffentlich
erwartete primitive Form der Lobhudelei á la Mihai Beniuc, Păunescu und Tudor.
War doch schon der vorhandene Konformismus der meisten Intellektuellen im Land
überdominant. Rumänische Schriftsteller, die sich mit dem Regime arrangiert
hatten, und das waren fast alle, konnten dafür gut leben.
Nur wenige Idealisten im Land - unter ihnen eine
Handvoll Deutsche aus dem Banat und aus Siebenbürgen - wollten die Dinge
weiterhin anders sehen und ungeachtet der Zuckerbrot und Peitsche-Taktik der
Partei weitermachen. Sie hatten allesamt noch ein weitgehend gutes Gewissen und
arbeiteten geistig an einem eigenen Überlebensmodell; an dem aus meiner Sicht
nicht ganz konsequenten Zwischending, im
Land bleiben und vor Ort wirken zu wollen, während die meisten ihrer
deutschen Landsleute nach den Erfahrungen vor allem in der Zeit des Stalinismus
sowie nach dem erneuten Rückfall in diese schon überwunden geglaubte Zeit der
Verdächtigungen, der Angst und des Terrors ihre tatsächliche Existenz retteten
und aus dem gleichen Land flohen.
Ab 1981 ging es in Rumänien nicht mehr um persönliche Selbstverwirklichung, sondern
nur noch um nacktes Überleben. Der
normale Werktätige musste sechs bis sechseinhalb Tage in der Woche arbeiten und
hatte trotzdem Mühe, an das tägliche Brot heranzukommen oder seine Wohnung zu
beheizen. In solchen Zeiten schwand auch
der Sinn für Literatur. Nur Herta Müller, die damals an der Zensur vorbei
oder mit dem Plazet der Zensur irgendwie ihr nestbeschmutzerisches
Skandalbändchen herausbringen konnte, sah die Gründe der Niederungen ihres Umfelds nicht in der versagenden sozialistischen
Gesellschaft, sondern bei ihren engstirnigen Landsleuten. Also beleidigte sie
diejenigen unter ihnen, die noch lasen. Also beleidigte sie auch mich.
Ab 1983 häuften sich trotzdem die Schikanen, Belästigungen
und Übergriffe gegen die wenigen deutschen Dichter im Land, so als ob man sie
in den sich schon abzeichnenden finalen
Exodus der Deutschen aus dem Banat und aus Siebenbürgen einreihen wollte,
um auch sie, die selbst deklarierte
geistige Vorhut, die nicht gehen wollte, aus dem Land zu treiben!
Bis zu jenem Zeitpunkt genossen die wenigen Schriftsteller deutscher Zunge aus dem Banat
und Siebenbürgen ihr weitgehend privilegiertes Dasein, was das Veröffentlichen
ihrer Werke betraf. Da es nur wenige waren, die Literatur fabrizierten, konnten
sie in der Regel all das veröffentlichen, was sie schrieben, wenn es nicht
gerade offensichtlich politisch provozierte.
„Wenn ich ein Angehöriger einer Minderheit gewesen
wäre, hätte auch ich recht früh mein Bändchen Gedichte haben können“, sagte mir
ein rumänischer Lyriker und Dramatiker aus Temeschburg später einmal, nicht
ohne Neid auf die bevorzugten deutschen Dichter im Banat.
Manch einer ließ sich gerne fördern und von Leuten wie
Berwanger vereinnahmen, auch für die Sache der Partei. Doch war das nicht
kurzsichtig und illoyal im Verhältnis zu rumänischen Literaten? War die Gesellschaft
zu verändern, wenn jede system- und ideologiekritische Haltung vermieden wurde?
Wohl kaum!
Die Securitate lauerte zwar überall mit Argwohn, lies
die Kunstschaffenden aber trotzdem gewähren, bis zu jenem Tag, als nicht nur
apathischer Konformismus, sondern auch deutliche
Unterwürfigkeit eingefordert wurde.
Personen, die
jahrelang unter den Bedingungen des Systems agiert, geschickt die Klippen umschifft
und bewusst kulturell tätig gewesen waren, sollten nunmehr demonstrativ das
Kriechen und das Katzbuckeln einüben und an ehrrührigen, schäbigen Vorgängen
wie Infiltration, Ausspionieren und Denunziation von Kollegen mitwirken.
Ab diesem Zeitpunkt des Rückfalls in stalinistische
Praktiken übelster Art, etwa um 1985, gingen selbst die bis dahin systemloyalen Künstler vorsichtig auf Konfrontationskurs und in die Gegenoffensive,
passiv zunächst, nicht aktionistisch, indem sie sich weigerten, die
literarisch-moralische Prostitution aktiv zu unterstützen, immer noch
überzeugt, die führende politische Kraft
im Land, die eine Partei, die immer
recht hat, werde doch noch eine gütige Lösung
herbeiführen.
Als Folge der Renitenz und leisen Protesthaltung kam es
zu Hausdurchsuchungen. Zunächst bei Horst
Samson, einem Dichter und Journalisten, der seit Jahren seiner Arbeit als
Kulturredakteur bei der Neuen Banater
Zeitung nachkam und gleichzeitig die Aktivitäten des Adam-Müller-Guttenbrunn-Kreises als Sekretär koordinierte.
Was war in der Privatwohnung eines Dichters
aufzufinden? Manuskripte, Entwürfe, Skizzen, Ideen, Korrespondenz mit
befreundeten Geistesschaffenden aus der DDR und der Bundesrepublik, Fotos und
natürlich Bücher. Beschlagnahmt wurde dann, etwa bei Samson, vor allem Dissidentenliteratur;
ferner Subversives, Antisozialistisches, Werke von Solschenyzin, von Goma und
selbst Weltbestseller wie Doktor Schiwago
von Nobelpreisträger Boris Pasternak. Die halbe Welt hatte bereits die
grandiose Hollywood-Verfilmung des Stoffes gesehen. In Temeschburg aber konfiszierte
die Securitate den Roman eines Russen, der zufällig ein sehr humaner Literat
von Weltformat war. Und dies dreißig Jahre nach Stalins Tod. Ein zehnstündiges
Verhör in den Räumen der Securitate sollte Klarheit bringen. Es verlief
glimpflich und führte zu keiner Rechtsverfolgung.
Nicht besser erging es Samsons Kollegen Rolf Bossert, einem Dichter aus der
Reschitzer Gegend, der sich schon 1972 dem Freundeskreis der so genannten Aktionsgruppe angeschlossen hatte. Auch
bei ihm wurden die Zimmer durchwühlt. Als in seiner philatelischen Sammlung
auch Briefmarken aus der Zeit des Tausendjährigen Reichs gefunden wurden,
Postwertzeichen, die den Kopf des Führers und das Hakenkreuz abbildeten, musste
er befürchten - wie einst Totok - zum faschistischen
Deutschen gestempelt und möglicherweise sogar verurteilt zu werden. Ein Alptraum,
ausgerechnet für Linke.
Zum Tod
eines Dichters
Es ist nicht schwer auszumalen, dass ein sensibler
Dichter, der eigentlich nur Verse zimmern wollte, dem rohen Terror der
Verfolgungsorgane nicht gewachsen war. Unfähig, sich den permanenten
Nachstellungen, die teilweise Jagdcharakter annahmen, zu entziehen, entschloss sich
auch Bossert zur Ausreise in die Bundesrepublik. Die Folge davon war in seinem
Fall eine Intensivierung der vielfachen Belästigungen und Schikanen durch die
Securitate, die allesamt die Psyche des zarten Poeten weiter angriffen und
zerrütteten.
Von Horst Bossert, der kaum zwei Monate nach seiner
Ankunft in der Bundesrepublik unter rätselhaften Umständen zu Tode kam, zitiert
man auch heute noch gerne sein symptomatisches Inserat: suche hund mit 2 mäulern/ der nicht schweigen muß / während er beißt.
Sein tragischer Tod schockte Teile der informierten westlichen Öffentlichkeit
und richtete fortan den Blick auf die Praktiken der Securitate, die auch andere
Künstler verfolgte. Herta Müller konstruierte später daraus eine Fiktion.
Rolf Bossert, ein Dichter mit leichtem Hang zur
Melancholie, wie es Freunde bezeugen, gab nach seiner Ankunft in der
Bundesrepublik ein vielsagendes Interview, welches am 20. Februar 1986 in der Frankfurter Rundschau erschien. Es steht
unter dem Titel Der Exitus der
deutschsprachigen Literatur Rumäniens, und ist, da es viel über die Situation
der Schriftsteller in einer Diktatur aussagt, auch heute noch recht lesenswert.
Im Jahr 1983 erhielt Rolf Bossert, der wohl begabteste
unter den damals im Banater Raum Dichtenden, den Preis des
Müller-Guttenbrunn-Kreises. In seiner Dankesrede nach der von Richard Wagner
gehaltenen Laudatio sagte Bossert einige komprimierte Worte, die auf die innere
und äußere Exponiertheit eines Dichters in einem totalitären System verweisen.
Es sind etwas verklausulierte Aussagen eines gehemmten Dichters, der noch nicht
ganz resigniert hat und der den schwierigen Bedingungen trotzend, doch noch
agierend eingreifen und die Gesellschaft, in der er leben muss, gestalterisch verändern
will.
Bossert spricht von der Poesie als Gegenentwurf zur Tagespolitik und von
der Rolle des Dichters im Umgang mit
der Macht: Ich suche mir nicht Bausteine
für einen Elfenbeinturm zusammen. Der Schriftsteller, so wie ich ihn sehe,
steht nicht über den Dingen, sondern darunter. Im Doppelsinn des Wortes. Ich
baue keinen negativen, keinen umgestülpten Elfenbeinturm. Ich plädiere für eine
Macht. Nicht für jene des Schriftstellerpolitikers, sondern für die des
Politikerschriftstellers. Ich plädiere für die poetische Macht. Ich glaube an
ihre Brisanz. Auch diese Macht steht jenseits des Moralischen. Ich plädiere für
einen Gegenentwurf, für eine Utopie. Ich bin mir der Gefahr, in die ich mich
begebe, bewusst. Ich weiß, gegen
Vereinnahmung kann man sich nur bedingt schützen. Ich weiß, dass die
anarchisch-ordnungsliebende poetische Macht gefürchtet wird, und deshalb kontrolliert, diskreditiert und
pervertiert. Ich vermute, dass der konsequenteste Schriftsteller jener ist, der
aufhört zu schreiben oder zu leben. Ich bin aber, wie alle Schriftsteller, zu
sehr Egoist, zu wenig Egoist. Ich will im Bewusstsein meiner Inkonsequenz
weitermachen. Wenn die Wellen über meinem Kopf zusammenschlagen, greife ich
nicht nach dem Strohhalm, sondern nach dem Federkiel.“
Bossert muss in die teilweise paradoxe Aussage
flüchten, um die Ausweglosigkeit des Künstlers zu beschreiben, die in letzter
Konsequenz das Scheitern impliziert. Wenn ein Schreiben in Freiheit nicht möglich ist, dann ist das Nichtschreiben, eigentlich
das Nichtveröffentlichen, ein Rezept des geistigen Überlebens, eines, das ich
seinerzeit praktizierte, um anderswo konkret oppositionell zu agieren. Ethisches
und verantwortungsvolles Handeln hatte nach meiner damaligen Auffassung Priorität
vor der Kunst, auch weil es existentieller war als die Welt des Schönen Scheins
in einer Welt des getrübten Scheins und der Täuschung.
Wenn Bosserts tragisches Ableben ein Freitod war,
Menschen, die ihn gut kannten, schließen auch diese Möglichkeit nicht aus, dann
ist die Tat in den zitierten Worten bereits geistig antizipiert.
Die Haltung, ich will nicht mehr, weil das
Gegengewicht der Welt mich erdrückt, das von Heine verdichtete und von mir
selbst erlebte Atlas-Syndrom, ist typisch für sensible Poeten, für Mimosen, die
von Panzern überrollt werden. Wenn der Druck der Welt zu groß wird, dann bricht
das Herz im Leibe und die Dichterseele, die darin wohnt, verfliegt im Äther.
Trägt der gleichgültige Westen eine Mitschuld an der
tragischen Entwicklung? Möglicherweise hat das Nicht-adäquat-Gehörtwerden in der westlichen Gesellschaft einen
Prozess, den die Securitate auf den Weg gebracht hat, noch beschleunigt!
Nemo propheta in
patria? Freund
Felix, die musische Mimose, war an der Ignoranz einer apathischen Gesellschaft
gescheitert - und selbst ich, mehr zäh als zerbrechlich, hatte den Schmerz des
einsamen Rufers in der Wüste vielfach erfahren müssen. Hinter der massiven
Enttäuschung lauert das individuelle Scheitern - wie hinter dem tiefen Leiden
die Verzweiflung lauert. Künstlerseelen, angesiedelt am Rande der Melancholie,
sind exponiert und immer gefährdet. Die Dissidenz im Feinen wie im Groben
fordert ihre Opfer, selbst noch lange danach. Womöglich ist Rolf Bossert ein
warnendes Beispiel.
Doch seine verkündete Vision war richtig. Die
poetische Brisanz, die schon bei Dichtern wie Sorescu und Blandiana, präsent
war, brach später bei Mircea Dinescu am eindeutigsten durch und erreichte
selbst die Menschen auf der Straße. Ab dem Jahr 1983 wurden auch Richard Wagner
und Herta Müller schikaniert, sagt man. Nur wurden sie auch konkret verfolgt,
verhaftet, verurteilt?
Wann, wo und wie? Ihre spärlichen Biographien geben
keine genaue Auskunft über konkrete Verfolgungen durch die Securitate. Und Herta
Müller schweigt auf meine Fragen! Warum wohl?
Manchmal konnte der Eindruck entstehen, die Securitate
suche sich die potentiellen Opfer geradezu aus - vielleicht nur, um die eigene
Ineffizienz zu überdecken. Der Kreis der Verfolgten wurde ausgeweitet. Während
sich Rolf Bossert wehrte, zur Feder griff und Petitionen an die Parteiführung
verfasste, in der Hoffnung auf diese Weise vor dem Zugriff der Securitate Schutz
zu finden - eine Prozedur, die ich selbst oft und gerne praktiziert hatte, ganz
nach dem Motto: divide et impera - gerieten andere in deutscher Sprache
publizierende Journalisten und Schriftsteller in den Fokus der Sicherheit,
unter ihnen Helmuth Frauendorfer, ein Poet meines Jahrgangs.
Als im Jahr 1984 Nikolaus
Berwanger, der kontroversierte Mäzen des größten Literaturkreises in Temeschburg,
nach einer Erholungsreise in der kapitalistischen Hölle nicht mehr in das
Arbeiterparadies zurückkehren wollte und es überraschend vorzog, in der von
Revisionisten und alten Faschisten durchsetzten Bundesrepublik zu verbleiben,
fehlte plötzlich der übermächtige Protektor der linken Literaten - und mit ihm
die schützende Ägide.
Die weitgehend kritischen Journalisten William Totok,
Samson, Frauendorfer standen nunmehr isoliert da - und mit ihnen auch Richard
Wagner und bis zu einem gewissen Grad wohl auch Herta Müller, die bis auf die
zwiespältig aufgenommenen Niederungen
kaum etwas veröffentlicht hatte.
Pour le Mérite!
Appell an den Großen Bruder! Von
der Freiheit, die sie meinten …
Als dann Helmuth
Frauendorfer 1985 spontan verhaftet, verhört und von der Securitate
verprügelt wurde, protestierten die fünf oben genannten Dichter, denen sich Johann Lippet, Dramaturg am Deutschen Staatstheater
in Temeschburg und Balthasar Waitz,
der in der gleichen Stadt einen weiteren Literaturverein leitete, anschlossen,
in einem umfassenden Protestbrief an
die Kommunistische Partei am Ort.
Der Protestbrief,
den ich als wichtiges und vor allem decouvrierendes
Beweisstück werte, ist nicht an Staatsführer Ceauşescu gerichtet, wie
gelegentlich suggeriert wird, sondern namentlich an den Ersten Parteisekretär der
Kommunisten Cornel Pacoste adressiert; nomen
est omen auch hier: Das rumänische Wort
Pacoste bedeutet nichts anderes als Heimsuchung
oder Unheil!
William Totok hat das aussagekräftige Dokument
zusammen mit anderen Zeugnissen aus jener Zeit in seinen Zwängen der Erinnerung
veröffentlicht. Es ist gleichzeitig das erste Dokument, aus welchem hervorgeht,
dass sich auch Herta Müller, aus deren Feder ich bis dahin nichts Regimekritisches kannte, in Opposition begab,
allerdings eingebettet in eine Gruppe von sieben Personen.
Das ambivalente Verhältnis Kunstschaffender zur Partei
und Securitate, von Rolf Bossert noch in abstrakten, ja verschlüsselten Worten umschrieben,
erscheint in dem Schreiben der Literaten an den örtlichen Parteisekretär, das
allerdings noch vor Berwangers Flucht abgeschickt worden war, als Klartext
exponiert. Dort heißt es unmissverständlich: Am 19., 20. ,21.und 24. Juli und am 20. August dieses Jahres ist unser
Kollege Helmuth Frauendorfer, Absolvent der Philologischen Fakultät in Temeswar
(1984), der ein beachtliches literarisches Debüt sowie eine vielseitige
künstlerische Betätigung ( er hat die Theatergruppe des Studentenkulturhauses
betreut) und eine publizistische Tätigkeit (…) aufzuweisen hat, vom Sicherheitsdienst
und zwar von Oberstleutnant Nicolae Păduraru und von Major Ioan Adamescu
verhört worden. Während des Verhörs ist unser Kollege beschimpft und
beleidigt worden. Er wurde aufgefordert,
vorformulierte Erklärungen zu unterschreiben, in denen er bestätigt, dass er
„staatsfeindliche Gedichte“ schreibe und ähnliche Aktivitäten betreibe. Ebenso
hat man von ihm gefordert, Erklärungen zu unterschreiben, die besagen, dass
wir, die wir diese Beschwerde unterzeichnen, ihn im Sinn dieser „staatsfeindlichen
Aktivitäten“ beeinflusst hätten. Dies, so der Sicherheitsdienst, sei auch durch
den Literaturkreis „Adam-Müller-Guttenbrunn“ geschehen, der von Oberstleutnant
Păduraru als „Räuberhöhle“ bezeichnet worden ist. Die „Räuberhöhle“ wird vom
Schriftsteller Nikolaus Berwanger, Sekretär des Schriftstellerverbandes
geleitet. Einige der Unterzeichner dieser Beschwerde sind Mitglieder des
Literaturkreises.
Während die Securitate ganz nach den Gepflogenheiten
in der breiteren Gesellschaft nun auch Literaten mit Kriminalisierungsabsicht
ins Visier nahm, suchten diese den altbewährten Schutzschild zu aktivieren,
ohne zu ahnen, dass Mentor Berwanger de facto resigniert, ja sein Heil bereits
in Flucht und Absetzung gefunden hatte.
Die Kunst der
Fuga - auch hier!
Der stramme Antifaschist von gestern war sich
plötzlich selbst der Nächste, vor allem, als er merkte, dass seine Landsleute in
großen Scharen und hellster Panik davonliefen, Haus und Hof verschleuderten,
nur um den scheinbar ewig zementierten Kommunismus für immer zu hinter sich zu
lassen.
Der kleine Lotse, der gleichzeitig der große Kapitän
war, ging vom sinkenden Schiff und lies die sich selbst überlassene Mannschaft
zurück, ohne Steuermann und Kompass, mitten im aufziehenden Sturm - und ohne
Beiboot! Das war Solidarität und Moral in der Form sozialistischer
Nächstenliebe. Zuerst komme ich! Und nach mir – die Sintflut!
Wir haben uns
entschlossen,
heißt es in der Solidaritätsbekundung der jungen Literaten weiter, diesen Brief zu schreiben, da der
Zwischenfall mit unserem Kollegen, der - nebenbei gesagt - mit einem
schriftlichen Verweis endete, nicht der erste dieser Art ist. Seit Jahren
werden wir von den Vertretern des Innenministeriums aus Temeswar belästigt. Was
wir schreiben, wird tendenziös umgedeutet, um zu beweisen, dass unsere
Tätigkeit subversiv ist. Man verweigert uns Auslandsreisen, es fanden
Hausdurchsuchungen und Festnahmen statt. Einigen Kollegen wird die Aufnahme in
den Schriftstellerverband verweigert, obwohl sie die nötigen Bedingungen dafür
erfüllen. Junge Schriftstellerkollegen, die am Anfang ihrer literarischen
Laufbahn stehen, werden eingeschüchtert oder durch Erpressungen gezwungen, mit
dem Sicherheitsdienst zusammenzuarbeiten u.a.m.
Dieses etwas aufmüpfig gehaltene Briefdokument
verweist zwar auf gängige Praktiken der
Securitate, ist aber noch längst kein Beweis gezielter Dissidenz, da ihm,
von der erwähnten Verprügelung eines Dichters abgesehen, die eigentliche Substanz
fehlt.
Im Grunde fordern die Literaten nur Marginales, das
eigentlich selbstverständlich sein müsste: Der sozialistische Staat möge ihnen
- den bisher weitgehend Privilegierten und Gehätschelten, die großzügig ihre
Büchlein drucken durften, weiterhin die Möglichkeit einräumen, nach eigenem
Geschmack und nach ihrer Fasson Literatur zu produzieren. Als Lohn sollte auch
ihnen die Aufnahme in den Olymp der Dichter, in den Parnass von Bukarest,
gestattet sein!
Freiheit in der Kunst? Gleichberechtigung der
Kunstschaffenden aller Nationalitäten! Dagegen ist nichts einzuwenden. Überall
auf der Welt sollten diese Prinzipien eine Selbstverständlichkeit sein!
J’accuse!
Viel schwerwiegender allerdings ist die Tatsache, dass
die Unterzeichner des Beschwerdeschreibens allesamt den Status quo im bereits geistig wie ökonomisch dahinsiechenden
Rumänien nicht in Frage stellen - und
dass sie sogar, und da rebelliert es in mir, die Führungsrolle der Kommunistischen Partei Rumäniens nicht
anzweifeln, sondern diese merkwürdige
Rolle der totalitären Monopolpartei sogar explizit anerkennen.
In dem Brief an Pacoste (Heimsuchung! Sic!) heißt es
unmissverständlich weiter: Wir haben uns
an Sie gewandt, weil wir der Meinung sind, dass die rumänische Kommunistische
Partei die führende Kraft unseres Landes ist.
Ein Skandal! Und überaus erhellend! Doch es geht noch
weiter:
Es wird immer
behauptet, dass der Sicherheitsdienst eine der Partei untergeordnete Behörde
ist, und nicht umgekehrt.
Wedelt der Hund mit dem Schwanz - oder der Schwanz mit
dem Hund? Und ist nur der Schwanz verwerflich, nicht die gesamte Bestie? Dann
stellen die Dichter fest: Wir meinen,
dass die Einschätzung eines literarischen Textes und die Äußerung eines Werturteils
nicht den Offizieren des Sicherheitsdienstes zugestanden werden darf, sondern
nach literarisch-ästhetischen Kriterien vorgenommen werden muß und der
kompetenten Literaturkritik überlassen bleiben muß. So weit, so gut! Im
Klartext bedeutet dies aber aus der Sicht
eines Dissidenten aus der Zelle weit mehr als die de facto Akzeptanz des Machthabers
vor Ort! Es bedeutet leicht pointiert ausgedrückt nicht weniger als: Liebe
Partei!
Beschütze uns vor deinen Bluthunden und pfeife, bitte,
deine Rottweiler zurück, damit wir staatsloyalen
Schriftsteller unsere Literatur nach unseren Vorstellungen produzieren
können - als konstruktive Kritik bei uneingeschränkter
Anerkennung der Führungsrolle der
Rumänischen Kommunistischen Partei unter der weisen Führung von Diktator
Nicolae Ceauşescu und seiner ebenso genialen Gattin Elena Ceauşescu. Wir
sozialistischen Schriftsteller der neuen Generation werden dich dann weiter so
lieben wie bisher und deine Führungsrolle nie anzweifeln, obwohl wir deine verbrecherische Geschichte kennen und deine Art, Geschichte einfach umzuschreiben …
Ist das Dissidenz?
Ist das etwa jenes Regimekritische,
das - nach Wagners Auskunft- Gottvater Berwanger bis zum Tag seiner Fuga in den
verschmähten Westen ermöglicht haben soll? Und entsprach das jener Vorstellung loyaler Kritik, jener Fiktion, von der
Richard Wagner später ebenso sprach?
Verkannte diese
Haltung nicht die tatsächlichen politischen Bedingungen in einem gescheiterten
sozialistischen Staat, der inzwischen zur zynischen Diktatur verkommen war?
Eine totalitäre Partei, die im späteren Bericht zur Analyse der kommunistischen Diktatur in Rumänien, als ungesetzlich und verbrecherisch eingestuft wurde, als integren Dialogpartner
anzuerkennen und nur die böse Securitate
als Schurken auszumachen, zeugt von
einer fundamentalen Verkennung der tatsächlichen Machtverhältnisse im Land!
Die Securitate
war nur der Handlanger, das exekutive Repressionsinstrument der Kommunistischen
Partei, die den politischen Willen verkörperte und die tatsächliche politische
Macht.
Wie konnte soviel gesellschaftspolitische Naivität
möglich sein - in sieben Köpfen, die allesamt in der sozialistischen Wirklichkeit
lebten? Ein Unding!
Wie konnte loyale
Kritik im Umgang mit einer verbrecherischen Organisation möglich sein?
Während den
eigenen Landsleuten „latenter Faschismus“ vorgehalten wurde, vor allen den
vielen, die sich nicht wehren konnten, weil ihnen das Instrumentarium fehlte,
und den gleichen deutschen Landsleuten eine Mitverantwortung am NS-Staat, an
dessen Außenpolitik und Kriegsführung angelastet wurde, vergaßen die gleichen Akteure
des rechten Lichtes und Apostel der Moral die Verbrechen des Stalinismus und
Kommunismus vor ihrer Haustür!
Das ist aus meiner Sicht tiefste Heuchelei! Ecrasez l’infame, kann ich da nur mit Voltaire
ausrufen!
Es fällt mir schwer zu glauben, dass kritische Köpfe
wie William Totok diesen Text damals so mittrugen. Und ich frage mich, wer ihn
aufsetzte!?
Als Kind Stalin
bewundern und im Loblied der Partei für alles danken! Das war etwas! Doch als
reife Erwachsene zum Teil mit Hafterfahrung, als Hochschüler und elitäre
Avantgardisten den Totalitarismus von Rechts bekämpfen zu wollen, um
gleichzeitig den Totalitarismus von Links billigend zu dulden, das war etwas fundamental
anderes! Eine Haltung, die ich nie verstehen konnte und werde: das war
schlechthin Inkonsequenz und schlechter geistiger wie politischer Stil!
Oder neigten Intellektuelle und solche, die dieses
Monopol nur für sich reklamierten, a priori zur linken Seite - wie mir es mein
aufgeklärter Nachbar frühzeitig einschärfen wollte - und aus dieser Einseitigkeit
heraus auch zu mangelnder Ausgewogenheit und Kurzsichtigkeit?
Aus meiner ankämpfenden wie kompromisslosen Sicht war
diese damals schon identische unkritische Haltung Gift und moralisches Versagen
zugleich, weil eigentliche Vorbilder die falsche Ikone anbeteten: das Götzenbild
von Hammer und Sichel auf rotem Hintergrund! Gleichzeitig wertete ich die geistige Existenz in Kompromiss, Duldung
und Mitläufertum als einen mehr oder weniger gezielten Dolchstoß, der meine
Absetzung von dem menschenverachtenden System des Kommunismus hintertrieb und
die eigene Rebellion schwächte.
Bürgerrechtler Carl Gibson zur Zeit der UNO-Beschwerde gegen Ceausescu (1981)
in Rottweil
Polemica
in nuce!? Kritik und Selbstkritik
Die linken Idealisten und Utopisten waren im Gegensatz
zu mir offensichtlich immer noch bereit, den längst degenerierten
Staatskommunisten noch etwas Aufbruchseuphorie zuzugestehen, statt ihnen nach
eklatantem Versagen auf allen Ebenen die Führungskompetenz
abzusprechen. Das Rütteln an der politischen Macht war selbst im Jahr 1985, als
Rumänien bereits vor dem totalen Kollaps stand, für sie noch nicht angesagt!
Auch stand für Herta Müller, Richard Wagner und andere
aus dem Umfeld keine direkte Kritik an
der Kommunistischen Partei Rumäniens zur Debatte, obwohl diese Kraft auf ihrem 9. Parteitag alle Intellektuellen im
Land zum Üben von Kritik aufgerufen
hatte - und indirekt zur Selbstkritik.
Offene Dissidenz war selbst in dieser größeren Gruppe
nicht gewollt, obwohl das Land kurz vor dem Abgrund stand. Ceauşescu, der
weitsichtige Führer, hatte damals bereits sämtliche Nahrungsmittelvorräte gegen
Devisen ins Ausland verschachert, um die Fremdschulden forciert zu tilgen. Im
einst wohlhabenden Rumänien, wo, zumindest im Banat, Weizen, Mais und Gerste,
von den überfüllten Dachböden rieselten, war schon vor Jahren das Brot knapp
geworden. Menschen mussten hundert Kilometer anreisen, um in Temeschburg ein Baguette zu kaufen. Die Kommunistische Partei unter Ceauşescu
hatte inzwischen total versagt. Ihren Führungsanspruch trotzdem anzuerkennen
bedeutete eine eklatante Verkennung der Gesamtsituation.
Wo blieben der Stolz der Kunstschaffenden und die geistige Revolte des Menschen gegen
Unrecht, von der Camus spricht? Indirekte Dissidenz und kulturelle Opposition
entstanden bestenfalls dadurch, dass sich die einzelnen Dichter weigerten, an Schandtaten wie Lobhudelei,
konformistische Berichterstattung und Infiltration mitzumachen, als Individuen, während die Gruppe den
Individualwillen aufhob und löschte. Das Agieren innerhalb einer Gruppe - auch
wenn es keine Aktionsgruppe war - schützte zwar den Einzelnen vor Repressalien,
weil niemand wusste, wer was gesagt und formuliert hatte, aber die Einbettung
exponierte das Individuum auch, indem es einem Gruppenzwang unterworfen wurde,
der jede geistige Eigenständigkeit aufhob. Dahinter stand zusätzlich eine
mögliche Sippenhaftung, die – wie einst bei der Aktionsgruppe – im Ernstfall
den Untergang aller auslösen konnte. Aus diesen Gründen zog ich es vor, über
Jahre allein gegen den Strom zu schwimmen, meine Protestschreiben allein zu
verfassen, allein zu unterzeichnen und allein mit den Folgen zu leben.. Auch
in unserem offenen OTB-Kreis kamen
und gingen wir als freie Individuen - fern von jedem Zwang!
Als der oben zitierte Brief im Jahr 1985 an die Lokalpartei
abgeschickt wurde, nagten ein Großteil der zwanzig Millionen Menschen im Land
bereits an Knochen - an was wohl die Häftlinge nagten, die zu meinen Zeiten noch
Schlemmereien wie Schweinehufe vorgesetzt bekamen?
Es fehlte überall an allem; an Energie, um zu kochen
und zu heizen, an Wasser, um sich zu waschen. Der Schritt zum Verzehren von
Gras - wie bald darauf in Nordkorea - war schon absehbar. Die Hälfte des
Bruttosozialprodukts, Milliarden, wurde nicht für die sträflich vernachlässigte
Daseinvorsorge investiert, sondern für einen Monsterbau verschleudert, der nur einem Größenwahnsinnigen, ja
offensichtlich gänzlich verrückt gewordenen Despoten diente.
Doch der neue Turm
von Babel mit dreitausend Räumen, dem Zehntausende Bukarester weichen
mussten, um Platz zu machen für das Achte Weltwunder, stand nicht im fernen Banat, in der heilen Welt meiner Kindheit, wo
Leute wie C.F. Delius nach der Niederungen-Lektüre
Herta Müllers Sodom und Gomorra vermuteten, auch nicht im fernen Babylon
zwischen Euphrat und Tigris bei Saddam Hussein, sondern im Herzen der Walachei,
in Bukarest, in Rumänien! In einer solchen
gesellschaftspolitischen Konstellation erteilten naive Linke der für all das
verantwortlichen Kommunistenpartei Absolution! Ein Hohn!
In den Schriftstellerverband
wollten einige aus ihren Reihen aufgenommen werden, nachdem die Partei
ihnen wohlwollend ein Büchlein genehmigt hatte - als Krönung ihres
Künstlerdaseins!
Das war ihre
größte Sorge,
während andere hungerten und ihre Landsleute von panischer Untergangsstimmung
ergriffen alles dem Freikauf opferten
und ohne Rücksicht auf Verluste nur das nackte Leben rettend aus dem Land
flohen – wie bei drohendem Krieg!
Der die Meriten der Partei unkritisch anerkennende
Appell endet mit der unverhohlenen
Drohung, den Großen Bruder in Bukarest informieren zu wollen, falls eine
lokale Lösung ausbleibe: Also, kleiner Pinscher Unheil, wenn du nicht spurst, dann holen wir den großen Wauwau!
Darüber vergaß Herta Müller später in der Bundesrepublik
zu berichten!
Den Pour le
Mérite auf dafür, noch vor dem Nobelpreis!!!
Polemica in nuce? Vielleicht. Mein Ärger, der mir den
Schlaf raubte, floss in einige Essays - und Satiren. Doch das Lachen bleibt
weg, wenn man an die Opfer denkt, die das - wenn auch ungewollte - Stützen
einer Diktatur gekostet hat. Ein Endkampf auch hier - ohne Endsieg. Nur mehr
Opfer. Verbitterung kommt manchmal auf - und auch Verständnis dafür, dass aus
langjährigen demokratischen Dissidenten, Menschenrechtlern und freien Geistern
irgendwann nach langem Sisyphus- und Don Quichotte-Dasein der Umschwung in den
radikalisierten Zynismus erfolgt! Cioran, Goma … sind Beispiele dafür!
Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass nicht
jeder aus der Gruppe den Text, so wie ihn vielleicht einer von ihnen aufgesetzt
hatte, voll stützte und mittrug - und dass einiges davon als plakativer Appell
verstanden wurde, der notwendig erschien, um überhaupt angehört zu werden.
Trotzdem ist die Aktion einstiger Mitglieder der ehemals anders gestarteten Aktionsgruppe
eine Geste des Kompromisses, des
Arrangements mit der Macht, die 1985, als die Zivilisation in Rumänien
unterging, schwer deplatziert war - das
war aus meiner Sicht unfreiwillige Kollaboration!
Und worin bestand die Alternative dazu?
Eben in dem von uns durchexerzierten Modell des konkreten politischen Widerstands, das
Folter und Haft implizierte, aber auch andere Signale an die Gesellschaft sendete.
Vielfacher Widerstand über Jahre machte
die spätere Revolution möglich - und nicht die stille Duldung einer Weltanschauung, die sich selbst schon überlebt
hatte!
Manche Erfahrungen, die ich in unendlichen Variationen
während der dreijährigen oppositionellen Tätigkeit hatte auch machen müssen,
tauchen in dem gelinden Protestschreiben wieder auf, nur transponiert in den
Bereich des Literarischen -und mit anderen Akteuren. Das System dahinter blieb
gleich wie die Methoden, Menschen einzuschüchtern, sie psychisch und selbst
physisch zu vernichten. Unter diesen Umständen bot sich für die Deutschen aus
dem Banat und Siebenbürgen nur eine Alternative an - die Ausreise, für mich und
für andere - der Exodus!
Während ich schon früh dafür optierte und so schnell
wie möglich die elysischen Gefilde verlassen wollte, entschlossen sich loyale Kritiker sträubend erst später,
nachdem sich selbst der stramme Antifaschist Berwanger abgesetzt und das Banat so
gut wie frei von Deutschen war.
Den Schriftstellern deutscher Zunge liefen die Leser
davon! Bereits 1979 war ich gegangen, weil
ich die Führungsrolle der Kommunistischen Partei, die sich mit vorgehaltener
Pistole und einen legitimen Monarchen nötigend an die Macht geputscht hatte,
nie anerkannt hätte. Weder in Rumänien, noch sonst in einem anderen totalitären
Staat.
Statt kleine
Büchlein zu machen mit subjektiven Ergüssen und antiimperialistischen Parolen
von der Stange, Jugendsünden, die mancher aus der Gruppe aus heutiger Sicht
gerne ungeschehen machen und vergessen würde, habe ich mit anderen ähnlich
denkenden Opponenten das totalitäre Regime bekämpft; und zwar selbst noch
zwischen 1981 und 1984 über das Mittel
der völkerrechtlichen Klage, obwohl ich meine Haut in den freien Westen
gerettet und nichts mehr zu gewinnen
hatte, aber alles verlieren konnte, nämlich das Leben!
Als ich damals zum Zeitpunkt der Klageerhebung - für
die Sache anderer eintretend - nächtliche Drohanrufe erhielt und die
zuständigen Behörden darüber informierte, vergaß ich das öffentliche Aufschreien,
das Tamm-Tamm, das Trommeln, Schellen und Klappern. Das alles ertönte erst
1987, als die richtigen Dissidenten kamen!
Steht es mir
damit zu, anderen den Spiegel vorzuhalten, anderen, die die Deutsche Minderheit
in der Schuld sahen, sich von ihr absetzten und sie bekämpften, statt gegen die
Kommunisten anzutreten? Ist es nicht schon zu spät für die Wahrheit?
Darauf mögen andere antworten!
Wer - wie Herta
Müller und ihre nicht immer konsequent-kritischen Zeit-Genossen - eine
kommunistische oder pseudokommunistische Einheitspartei so undifferenziert
bestätigt, sollte nie Preise, die für Dissidenz vergeben werden, anfassen oder
gar annehmen.
Und wenn sie
solche Preise, die für Widerstand, Zivilcourage und bürgerliche Opposition in einer
Diktatur vergeben werden, versehentlich von Leuten zugesprochen bekommt, die
von den inneren Verhältnissen in einem totalitären System, von Dissidenz und
von politischem Andersdenkertum keine Ahnung haben, dann sollte die Dame jene
Ehrungen schleunigst zurückgeben, damit sie jenen Menschen zukommen, die für
ihre weltanschaulichen Überzeugungen wirklich im Gefängnis saßen - über eine
Woche hinaus.
©Carl Gibson. Alle Rechte vorbehalten.
Carl Gibson, Symphonie der Freiheit,
Dettelbach, 2008, 418 Seiten.
OTB-Organisator Georg Weber, 1982 in Dortmund
Kathedrale, Temeschburg
Ceausescus Palast
Carl Gibson, Lesung
Mehr zum Thema Kommunismus hier:
zur kommunistischen Diktatur in Rumänien -
über individuellen Widerstand in einem totalitären System.
im Februar 2013 erschienen.
Das Oeuvre ist nunmehr komplett.
Alle Rechte für das Gesamtwerk liegen bei Carl Gibson.
Eine Neuauflage des Gesamtwerks wird angestrebt.
Fotos von Carl Gibson: Monika Nickel
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