Unzulänglichkeiten und Diskrepanzen
Trotzdem: Die Kommission zur Aufarbeitung der kommunistischen Diktatur in Rumänien stand und steht unter keinem guten Stern. Aber auch dies ist symptomatisch für eine ehemalige Diktatur auf dem Weg in demokratische Verhältnisse und für die Umbruchsituation. Manches erinnert an die Büchse der Pandora, aus der zu viele entfesselte Geister entflohen. Die Aufgabe, die in kurzer Zeit zu meistern war, konnte eigentlich nicht zufriedenstellend bewältigt werden. Aus vielen Gründen.
Zu viele Schuldige wurden in dem Bericht Raport final namentlich erwähnt, und zugleich zu wenige. Manche Helden wurden leicht glorifiziert, andere wurden ganz vergessen. Unzulänglichkeiten gab es von Anfang an - und damit Angriffspunkte unterschiedlicher Kreise, die allesamt ihre Interessen bedroht sahen.
Die Kommission hatte nur wenig Zeit, um die enorme Materie von 45 Jahren Kommunismus und Diktatur aufzuarbeiten, kaum sechs Monate für Recherchen und Ausarbeitung. Diese Zeitspanne ist, wie jeder weiß, der wissenschaftlich forscht und veröffentlicht, überaus knapp. Jahre intensiver Forschung wären notwendig gewesen, um zuverlässige Ergebnisse zu erzielen. Diese Zeit fehlte, weil die von Präsident Băsescu im Vorfeld der EU-Aufnahme Rumäniens betriebene Verurteilung politischer Wille war. Băsescu wollte den Europäern entgegenkommen- mit einem unüberhörbaren Paukenschlag. Die Bumerang-Wirkung ist bekannt.
Auch die Ausgewogenheit der Mitgliederrunde, die von einem Expertenkreis mit zum Teil wissenschaftlich schmalbrüstigen Fachleuten verstärkt wurde, lässt viele Wünsche offen. Der streitbare Schriftsteller Paul Goma, der nach wie vor das Dissidentenmonopol für sich reklamiert und der die historische Kompetenz der Kommission in Frage stellt, war nicht zu gewinnen, aus zahlreichen Motiven, auch persönlicher Art. Tismăneanu, der ihn freundschaftlich eingeladen hatte, ging zu Goma auf Distanz, nachdem dem Hitzkopf die abkanzelnde Bemerkung Bolschewikenspross entglitten war. Ja, beide Eltern seien auf russischen Panzern und als sowjetische Staatsbürger gekommen, um den Kommunismus im Land durchzusetzen, erhärtet der inzwischen einsamer geworden Goma heute seine Haltung. Er fühlt sich nach wie vor verkannt und ist verbittert darüber. Die Basis für eine wissenschaftliche Zusammenarbeit konnte nicht mehr gegeben sein, wenn die persönliche Integrität des Kollegen in Frage gestellt wurde.
Auch Ionel Cana, der nur als Gewerkschaftsgründer bekannt wurde, ohne vorher und nachher größere oppositionelle Aktivitäten entfaltet zu haben, wurde etwas ignoriert, indem seine Meriten bei der SLOMR-Gründung nicht adäquat gewürdigt wurden. Seine polemische Replik in einem rechten Blatt Der Tismăneanu-Bericht ist Makulatur, in welchem er offensichtlich von seinem Interview-Partner Roncea, einem obskuren Journalisten und dem Blatt Ziua instrumentalisiert wird, ist eine unbefriedigende Antwort darauf. Ein weiterer Aufschrei, der sich bald zu einer wilden Email-Auseinandersetzung steigerte, kam von einem anderen Verkannten, von dem bereits totgesagten Streikführer Costica Dobre aus den Tiefen des englischen Exils. Seine Verdienste hatte man in den erwarteten Würdigungen genauso unangemessen geschildert wie jene des schlichten Dauerquerulanten Vasile Paraschiv oder jene des lange exilierten Journalisten Victor Frunză. Sie alle hatten mehr Anerkennung erwartet. Sie schlossen sich deshalb zusammen und opponierten auf ihre Weise gegen den Raport final, gegen den endgültigen Report oder Abschlussbericht, den es in der Wissenschaft, wo alles in Bewegung bleibt und immer neue Fakten auftauchen können, gar nicht geben dürfte.
Da die Geschichte der SLOMR und somit das wichtige oppositionelle Phänomen einer freien Gewerkschaftsgründung ebenfalls nicht angemessen beschrieben worden war, bestenfalls leicht gestreift wurde, hätte auch ich auf die Barrikaden gehen können. Schließlich wurden die Abläufe in Temeschburg in der ersten Fassung nicht einmal erwähnt. Doch das geschah nicht aus Missachtung, sondern vielmehr aus Unkenntnis und chronischem Zeitmangel. Die Wissenschaftler sahen sich aus Zeitgründen gezwungen, nur mit gedruckten Quellen arbeiten zu müssen. Solange die Druckfassung des Berichts des Analyseberichts noch nicht ausgearbeitet war, machte ich mich für eine Ausweitung und Ausdifferenzierung stark, in der Hoffnung, einige Unzulänglichkeiten des Reports zu beseitigen. Auch setzte ich mich in den letzten Wochen und Monaten direkt dafür ein, offensichtliche Fehler zu eliminieren, wenn auch mit mäßigem Erfolg. Eine strigente Überarbeitung des Reports war wohl nicht mehr durchzusetzen, weil viel zu viele Beanstandungen von allen Seiten auf das Autorenteam zukamen. Gerne hätte ich die SLOMR-Materie adäquat berücksichtigt gesehen, ebenso die Exodus-Problematik aus deutschem Blickwinkel betrachtet. Seitdem es die halbe Million Deutschstämmiger aus dem Banat und aus Siebenbürgen nicht mehr gibt, zählt auch die deutsche Sicht der Dinge nicht mehr allzu viel.
Trotzdem: Was jetzt mit der Studie Raport finalvorliegt, ist ein substantielles und wertvolles Anfangswerk, das allerdings in seiner provisorischen Ausformulierung stilistisch ein noch uneinheitliches, nicht immer wissenschaftlich-akademisches Kompilat darstellt. Es ist ein Sammelwerk, eine Dokumentation mit sehr guten analytischen Passagen, an welchem drei bis vier Dutzend Autoren mitgestrickt und mitgeschrieben haben. Viele Köche müssen den Brei nicht unbedingt verderben! Der Raport ist zweifelsfrei die umfassendste Beschreibung des Kommunismus auf rumänischem Boden in schonungsloser Form, ein Werk, auf dem man weiter aufbauen sollte und das noch unendlich ausdifferenziert werden muss. Das Einzelereignis, das von machen Akteuren gerne verabsolutiert wird, musste vorerst zugunsten des Ganzen zurücktreten, schon aus räumlichen und zeitlichen Gründen. Der Zeitfaktor war neben der Mittelknappheit die vielleicht substantiellste Hürde. Der Bericht setzt deshalb nicht auf Neuerkenntnisse, die etwa durch umfassende Zeitzeugenbefragungen und Auswertungen hätten erreicht werden können, sondern er vertraut bereits veröffentlichter Literatur, was, wie die unerforschte SLOMR-Thematik nahe legt, sehr unbefriedigend ist!
Gerade die Dissidenten meiner Zeit kommen relativ schlecht weg, als Zeitzeugen wie als Experten. Sie erscheinen in einer langen Liste von Namen, ohne dass der Grad ihrer Dissidenz differenziert herausgearbeitet ist. Wurden sie für eine Sache oder eine Aktion, die über den individuellen Widerstand hinausging, verfolgt, verhaftet und zu Gefängnisstrafen verurteilt? Oder waren es nur Individuen, die gelegentlich von den repressiven Kräften des Systems schikaniert wurden - und loyale Kritiker, die nie Dissidenten sein wollten? Das macht einen essentiellen Unterschied, zumindest aus der Sicht derjenigen, die die Gitter von innen aus betrachten durften. In langen Aufzählungsreihen alle in einen Topf zu werfen, verwischt das Phänomen der Dissidenz vollkommen und die damit zusammenhängenden Werte wieWürde und Freiheit.
Der viel zu schnell erstellte Auftragsbericht, der wohl nur ein Mittel zum Zweck sein sollte und auch populistisch genutzt und benutzt wurde, kommt in verschiedenen Punkten zu voreiligen Schlussfolgerungen, die an dieser Stelle nicht weiter erörtert werden können, vor allem in der Beurteilung der Dissidenz im Land. Etwas übereilt wird festgestellt, in Rumänien habe es im Unterschied zur Sowjetunion, der Tschechoslowakei oder Polen keine systematisch organisierte Dissidentenbewegung gegeben, lediglich spontan entstandenen, individuellen Protest; nur Auflehnungen von mutigen Einzelkämpfern, die dem totalitären Regime entgegentraten. Die wohl organisierte, religiöse Dissidenz der Baptisten um die ALRC und die weit ausgedehnte und nicht auf einen Schlag zu beendende SLOMR-Bewegung sprechen dagegen. Beide Manifestationen des Bürgerprotests mit erstaunlicher Kontinuität konnten nur zustande kommen, weil sie im Vorfeld denkerisch vorkonzipiert und vorbereitet worden waren. Das wurde bisher noch nicht ausreichend erkannt und gewürdigt. Wohl auch deshalb, weil die Archive des ehemaligen Geheimdienstes Securitate sowohl für die Forscher der Präsidentenkommission als auch für die allgemeine politische, historische und soziologische Wissenschaft verschlossen blieben!
An Stelle der Dissidenten, die oft nur Handelnde waren und keine Analytiker oder Wissenschaftler, berief Professor Tismăneanu andere Persönlichkeiten in die Kommission, Menschen, die teilweise fast ihr gesamtes Leben der Beobachtung kommunistischer Phänomene gewidmet und gegen totalitäre Systeme angekämpft hatten wie das Kritikerehepaar Monica Lovinescuund Vergil Ierunca.
Neben den Mistreitern aus dem nahen persönlichen Umfeld des Forschers aus Maryland wie Christian Vasile und Dragos Petrescu gehören dem Beirat mehrere ehemalige Widerstandskämpfer und Bürgerrechtler an, unter ihnen der Ingenieur Radu Filipescu, der zum Widerstand und zu offenen Demonstration gegen Ceauşescu aufgerufen hatte. Ferner sind Romulus Rusan, Sorin Ilieşu und Stelian Tănase, alles Leute, die ihre oppositionellen Meriten haben, Teil des Gremiums. Der allseits geschätzte Schriftsteller Horia-Roman Patapievici sitzt mit am Tisch wie sein für Kultur zuständige Kollege Nicolae Manolescu und der Wissenschaftler Sorin Alexandrescu.
Trotzdem bilden Wissenschaftler und vor allem Historiker eine Minderheit in der Kommission, die eigentlich eine internationalere Struktur haben sollte. Ebenso fehlen die Repräsentanten der vertriebenen Deutschen Minderheit im Land, die ebenfalls Opfer der kommunistischen Diktatur in Rumänien waren - bis hin zum finalen Exodus. Ihre Interessen bleiben einer einzigen Expertinüberlassen, an deren wissenschaftlichen Leistung durchaus gezweifelt werden kann. Die deutsche Sichtweise der Dinge bleibt weitgehend unberücksichtigt, wie auch deutschsprachige Literatur zur Thematik wohl aufgrund von Sprachbarrieren nicht rezipiert wird.
Wenig glücklich erwies sich die Berufung anderer Mitglieder der Kommission. Der Bischof von Temeschburg zog sich vorzeitig zurück; ferner Sorin Antohi, ein publizistischer Kollege Tismăneanus von der Zeitschrift Revista 22, der sich als langjähriger Informator und Denunziant entpuppte. Der Securitate-Zuträger Antohi, ein Literat und Übersetzer, hatte auch eine Promotion an der Universität Iaşi vorgetäuscht und alle hinters Licht geführt, die ihn bis zu seiner Enttarnung vertraut hatten - auch er ein Repräsentant einer Zeit, die es aufzuarbeiten gilt.
Noch gravierender hingegen wirkte sich der Fall Mihnea Berindei aus. Berindei, einer der bekanntesten Gestalten des rumänischen Exils, dem ich seit unserer Begegnung 1979 in Paris absolut vertraute, erschien bei einer näheren Durchleuchtung durch die dortige Gauck-Behörde CNSAS als potentieller Securitate-Agent. Ein Schock! Zumindest für mich. Berindei, in dem Bericht der Kommission für Dissidenz zuständig, wie bezeichnend, wies umgehend die Beschuldigungen zurück. Tismăneanu, der ihm ebenfalls vertraut hatte, forderte Aufklärung und hielt die Unschuldsvermutung aufrecht - doch das Kind war bereits in den Brunnen gefallen.
Wenn Berindei, dessen fehlendes Curriculum vitae in der Internetpräsentation ihn als Kommissionsmitglied weiter belastet, sich tatsächlich als der Edelspion der Securitate erweisen sollte, was ich nicht für wahrscheinlich erachte, als verkappter Wolf im Schafsfell, dann wird der ihm anvertraute Kompetenzbereich jüngster Dissidenz noch kritischer zu betrachten sein. Doch selbst wenn sich das Ganze als übles Machwerk der Securitate herausstellen sollte, die alle Register zieht, um alle zu kompromittieren, bleibt der moralische Flurschaden bestehen. Mihnea Berindei, einstiges Aushängeschild der Kommission, wurde und wird von den Gegnern des Berichts zu einem kontroversierten Charakter stilisiert und arg verdächtigt - und über ihn, was noch gravierender ist, auch der Präsident der Kommission und der Landespräsident.
Für Außenstehende, für den Betrachter aus dem Westen, der fern vom Tagesgeschehen die neuesten Entwicklungen und Phänomene in Rumänien beobachtet, ist letzte Gewissheit in der Einschätzung kaum möglich. Wer lügt? Wer sagt die Wahrheit? Was ist echt? Was ist Täuschung?
Symphonie der Freiheit
Symphonie der Freiheit
Widerstand gegen die Ceauşescu-Diktatur
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