Leseprobe, aus Carl Gibson, Symphonie der Freiheit
Polemica
in nuce!? Kritik und Selbstkritik
Die linken Idealisten und Utopisten waren im Gegensatz
zu mir offensichtlich immer noch bereit, den längst degenerierten
Staatskommunisten noch etwas Aufbruchseuphorie zuzugestehen, statt ihnen nach
eklatantem Versagen auf allen Ebenen die Führungskompetenz
abzusprechen. Das Rütteln an der politischen Macht war selbst im Jahr 1985, als
Rumänien bereits vor dem totalen Kollaps stand, für sie noch nicht angesagt!
Auch stand für Herta Müller, Richard Wagner und andere
aus dem Umfeld keine direkte Kritik an
der Kommunistischen Partei Rumäniens zur Debatte, obwohl diese Kraft auf ihrem 9. Parteitag alle Intellektuellen im
Land zum Üben von Kritik aufgerufen
hatte - und indirekt zur Selbstkritik.
Offene Dissidenz war selbst in dieser größeren Gruppe
nicht gewollt, obwohl das Land kurz vor dem Abgrund stand. Ceauşescu, der
weitsichtige Führer, hatte damals bereits sämtliche Nahrungsmittelvorräte gegen
Devisen ins Ausland verschachert, um die Fremdschulden forciert zu tilgen. Im
einst wohlhabenden Rumänien, wo, zumindest im Banat, Weizen, Mais und Gerste,
von den überfüllten Dachböden rieselten, war schon vor Jahren das Brot knapp
geworden. Menschen mussten hundert Kilometer anreisen, um in Temeschburg ein Baguette zu kaufen. Die Kommunistische Partei unter Ceauşescu
hatte inzwischen total versagt. Ihren Führungsanspruch trotzdem anzuerkennen
bedeutete eine eklatante Verkennung der Gesamtsituation.
Wo blieben der Stolz der Kunstschaffenden und die geistige Revolte des Menschen gegen
Unrecht, von der Camus spricht? Indirekte Dissidenz und kulturelle Opposition
entstanden bestenfalls dadurch, dass sich die einzelnen Dichter weigerten, an Schandtaten wie Lobhudelei,
konformistische Berichterstattung und Infiltration mitzumachen, als Individuen, während die Gruppe den
Individualwillen aufhob und löschte. Das Agieren innerhalb einer Gruppe - auch
wenn es keine Aktionsgruppe war - schützte zwar den Einzelnen vor Repressalien,
weil niemand wusste, wer was gesagt und formuliert hatte, aber die Einbettung
exponierte das Individuum auch, indem es einem Gruppenzwang unterworfen wurde,
der jede geistige Eigenständigkeit aufhob. Dahinter stand zusätzlich eine
mögliche Sippenhaftung, die – wie einst bei der Aktionsgruppe – im Ernstfall
den Untergang aller auslösen konnte. Aus diesen Gründen zog ich es vor, über
Jahre allein gegen den Strom zu schwimmen, meine Protestschreiben allein zu
verfassen, allein zu unterzeichnen und allein mit den Folgen zu leben.. Auch
in unserem offenen OTB-Kreis kamen
und gingen wir als freie Individuen - fern von jedem Zwang!
Als der oben zitierte Brief im Jahr 1985 an die Lokalpartei
abgeschickt wurde, nagten ein Großteil der zwanzig Millionen Menschen im Land
bereits an Knochen - an was wohl die Häftlinge nagten, die zu meinen Zeiten noch
Schlemmereien wie Schweinehufe vorgesetzt bekamen?
Es fehlte überall an allem; an Energie, um zu kochen
und zu heizen, an Wasser, um sich zu waschen. Der Schritt zum Verzehren von
Gras - wie bald darauf in Nordkorea - war schon absehbar. Die Hälfte des
Bruttosozialprodukts, Milliarden, wurde nicht für die sträflich vernachlässigte
Daseinvorsorge investiert, sondern für einen Monsterbau verschleudert, der nur einem Größenwahnsinnigen, ja
offensichtlich gänzlich verrückt gewordenen Despoten diente.
Doch der neue Turm
von Babel mit dreitausend Räumen, dem Zehntausende Bukarester weichen
mussten, um Platz zu machen für das Achte Weltwunder, stand nicht im fernen Banat, in der heilen Welt meiner Kindheit, wo
Leute wie C.F. Delius nach der Niederungen-Lektüre
Herta Müllers Sodom und Gomorra vermuteten, auch nicht im fernen Babylon
zwischen Euphrat und Tigris bei Saddam Hussein, sondern im Herzen der Walachei,
in Bukarest, in Rumänien! In einer solchen
gesellschaftspolitischen Konstellation erteilten naive Linke der für all das
verantwortlichen Kommunistenpartei Absolution! Ein Hohn!
In den Schriftstellerverband
wollten einige aus ihren Reihen aufgenommen werden, nachdem die Partei
ihnen wohlwollend ein Büchlein genehmigt hatte - als Krönung ihres
Künstlerdaseins!
Das war ihre
größte Sorge,
während andere hungerten und ihre Landsleute von panischer Untergangsstimmung
ergriffen alles dem Freikauf opferten
und ohne Rücksicht auf Verluste nur das nackte Leben rettend aus dem Land
flohen – wie bei drohendem Krieg!
Der die Meriten der Partei unkritisch anerkennende
Appell endet mit der unverhohlenen
Drohung, den Großen Bruder in Bukarest informieren zu wollen, falls eine
lokale Lösung ausbleibe: Also, kleiner Pinscher Unheil, wenn du nicht spurst, dann holen wir den großen Wauwau!
Darüber vergaß Herta Müller später in der Bundesrepublik
zu berichten!
Den Pour le
Mérite auf dafür, noch vor dem Nobelpreis!!!
Polemica in nuce? Vielleicht. Mein Ärger, der mir den
Schlaf raubte, floss in einige Essays - und Satiren. Doch das Lachen bleibt
weg, wenn man an die Opfer denkt, die das - wenn auch ungewollte - Stützen
einer Diktatur gekostet hat. Ein Endkampf auch hier - ohne Endsieg. Nur mehr
Opfer. Verbitterung kommt manchmal auf - und auch Verständnis dafür, dass aus
langjährigen demokratischen Dissidenten, Menschenrechtlern und freien Geistern
irgendwann nach langem Sisyphus- und Don Quichotte-Dasein der Umschwung in den
radikalisierten Zynismus erfolgt! Cioran, Goma … sind Beispiele dafür!
Es bedarf keiner besonderen Erwähnung, dass nicht
jeder aus der Gruppe den Text, so wie ihn vielleicht einer von ihnen aufgesetzt
hatte, voll stützte und mittrug - und dass einiges davon als plakativer Appell
verstanden wurde, der notwendig erschien, um überhaupt angehört zu werden.
Trotzdem ist die Aktion einstiger Mitglieder der ehemals anders gestarteten Aktionsgruppe
eine Geste des Kompromisses, des
Arrangements mit der Macht, die 1985, als die Zivilisation in Rumänien
unterging, schwer deplatziert war - das
war aus meiner Sicht unfreiwillige Kollaboration!
Und worin bestand die Alternative dazu?
Eben in dem von uns durchexerzierten Modell des konkreten politischen Widerstands, das
Folter und Haft implizierte, aber auch andere Signale an die Gesellschaft sendete.
Vielfacher Widerstand über Jahre machte
die spätere Revolution möglich - und nicht die stille Duldung einer Weltanschauung, die sich selbst schon überlebt
hatte!
Manche Erfahrungen, die ich in unendlichen Variationen
während der dreijährigen oppositionellen Tätigkeit hatte auch machen müssen,
tauchen in dem gelinden Protestschreiben wieder auf, nur transponiert in den
Bereich des Literarischen -und mit anderen Akteuren. Das System dahinter blieb
gleich wie die Methoden, Menschen einzuschüchtern, sie psychisch und selbst
physisch zu vernichten. Unter diesen Umständen bot sich für die Deutschen aus
dem Banat und Siebenbürgen nur eine Alternative an - die Ausreise, für mich und
für andere - der Exodus!
Während ich schon früh dafür optierte und so schnell
wie möglich die elysischen Gefilde verlassen wollte, entschlossen sich loyale Kritiker sträubend erst später,
nachdem sich selbst der stramme Antifaschist Berwanger abgesetzt und das Banat so
gut wie frei von Deutschen war.
Den Schriftstellern deutscher Zunge liefen die Leser
davon! Bereits 1979 war ich gegangen, weil
ich die Führungsrolle der Kommunistischen Partei, die sich mit vorgehaltener
Pistole und einen legitimen Monarchen nötigend an die Macht geputscht hatte,
nie anerkannt hätte. Weder in Rumänien, noch sonst in einem anderen totalitären
Staat.
Statt kleine
Büchlein zu machen mit subjektiven Ergüssen und antiimperialistischen Parolen
von der Stange, Jugendsünden, die mancher aus der Gruppe aus heutiger Sicht
gerne ungeschehen machen und vergessen würde, habe ich mit anderen ähnlich
denkenden Opponenten das totalitäre Regime bekämpft; und zwar selbst noch
zwischen 1981 und 1984 über das Mittel
der völkerrechtlichen Klage, obwohl ich meine Haut in den freien Westen
gerettet und nichts mehr zu gewinnen
hatte, aber alles verlieren konnte, nämlich das Leben!
Als ich damals zum Zeitpunkt der Klageerhebung - für
die Sache anderer eintretend - nächtliche Drohanrufe erhielt und die
zuständigen Behörden darüber informierte, vergaß ich das öffentliche Aufschreien,
das Tamm-Tamm, das Trommeln, Schellen und Klappern. Das alles ertönte erst
1987, als die richtigen Dissidenten kamen!
Steht es mir
damit zu, anderen den Spiegel vorzuhalten, anderen, die die Deutsche Minderheit
in der Schuld sahen, sich von ihr absetzten und sie bekämpften, statt gegen die
Kommunisten anzutreten? Ist es nicht schon zu spät für die Wahrheit?
Darauf mögen andere antworten!
Wer - wie Herta
Müller und ihre nicht immer konsequent-kritischen Zeit-Genossen - eine
kommunistische oder pseudokommunistische Einheitspartei so undifferenziert
bestätigt, sollte nie Preise, die für Dissidenz vergeben werden, anfassen oder
gar annehmen.
Und wenn sie
solche Preise, die für Widerstand, Zivilcourage und bürgerliche Opposition in einer
Diktatur vergeben werden, versehentlich von Leuten zugesprochen bekommt, die
von den inneren Verhältnissen in einem totalitären System, von Dissidenz und
von politischem Andersdenkertum keine Ahnung haben, dann sollte die Dame jene
Ehrungen schleunigst zurückgeben, damit sie jenen Menschen zukommen, die für
ihre weltanschaulichen Überzeugungen wirklich im Gefängnis saßen - über eine
Woche hinaus.
OTB-Organisator Georg Weber, 1982 in Dortmund
Bürgerrechtler Carl Gibson zur Zeit der UNO-Beschwerde gegen Ceausescu (1981)
in Rottweil
Kathedrale, Temeschburg
Ceausescus Palast
Carl Gibson, Lesung
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